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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman
Autoren: C.H.Beck
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zu den Fußnoten! Je mehr Gewicht Unwin diesem Bericht gab, umso so höher würden seine Anforderungen sein, bis eine wahre Papierlawine die Regalwände und Flure der Agentur verstopfen würde: ein gefräßiges Labyrinth mit Unwin in der Mitte, von Spulen durchgeschriebenen Schreibmaschinenbandes umgeben, die sich um ihn herum stapelten.
    Mr. Duden bewahrte ihn jedoch vor diesem Schicksal, indem er Unwin ungefragt die Aktennotiz zur Ansicht reichte.
    An: Mr. Duden, Oberschreiber, 14. Stock
    Von: Lamech, Wächter, 36. Stock
     
    Ein Angestellter unter Ihrer Aufsicht, Mister Charles Unwin, wird hiermit in den Rang eines Detektivs befördert, und zwar mit allen Rechten, Privilegien und Verantwortlichkeiten, die diese Position mit sich bringt. Bitte schicken Sie seine gesamte persönliche Habe an Zimmer 2919, und gehen Sie in allen Fragen laut Protokoll vor.
    Unten auf der Aktennotiz prangte der offizielle Stempel der Agentur, ein schwebendes geöffnetes Auge über den Worten: «Wir schlafen nie.»
    Unwin faltete das Papier zusammen und schob es in seine Manteltasche. Er sah, dass Mr. Duden es zurückhaben wollte, um es zu den Akten zu legen, doch der Oberschreiber brachte es offenbar nicht über sich, danach zu fragen. Es war besser so – Unwin würde es nämlich brauchen, um es seinem Bericht hinzuzufügen. «Ich nehme an, die Frau an meinem Schreibtisch», sagte er, «deren Namen ich noch nicht erfahren habe, wird meine Arbeit hier fortsetzen, die Arbeit, die ich seit nunmehr zwanzig Jahren, sieben Monaten und einigen Tagen verrichte.»
    Mr. Duden lächelte und nickte noch ein paarmal. Ihren Namen wollte er ihm nicht verraten.
    Unwin kehrte auf demselben Weg zurück, den er gekommen war, wobei er die Blicke seiner Kollegen mied, besonders den der Frau, die auf seinem Stuhl saß. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, noch einmal nach dem karierten Mantel zu spähen, der dort hing, wo sein eigener Mantel hätte hängen sollen.
     
    Im Fahrstuhl sprachen drei Männer in schönen Anzügen (schwarz, grün und marineblau) leise miteinander. Unwins Betreten des Aufzugs quittierten sie mit betonter Gleichgültigkeit. Es handelte sich um echte Detektive, was zu erkennen Unwin keine detektivischen Fähigkeiten abverlangte. Der Fahrstuhlführer sprang von seinem dreibeinigen Hocker auf und schloss die Tür. «Aufwärts», verkündete er. «Nächster Halt neunundzwanzigster Stock.»
    Unwin trug murmelnd seinen Wunsch nach einem Halt im sechsunddreißigsten Stock vor.
    «Sie müssen ein bisschen lauter reden», sagte der Fahrstuhlführer und legte die Hand an sein linkes Ohr. «In welchen Stock wollen Sie?»
    Die drei Detektive waren mucksmäuschenstill.
    Unwin beugte sich zu ihm vor und wiederholte: «Sechsunddreißig, bitte.»
    Der Alte zuckte mit den Schultern und drückte den Hebel in die richtige Position. Während die Anzeigenadel auf fünfzehn, sechzehn, siebzehn kletterte, sprach niemand ein Wort, doch Unwin wusste, dass ihn die Detektive beobachteten. Standen diese drei etwa mit Detektiv Pith in Verbindung? Schließlich hatte auch er Unwin beobachtet, zumindest lange genug, um zu wissen, dass er jeden Morgen zum Bahnhof fuhr. Und wenn sie ihn beobachteten, dann galt das vielleicht auch noch für andere – und nicht nur, während er im Büro war. Unwin hatte das Gefühl, das unermüdliche Auge der Agentur selbst habe sich auf ihn gerichtet, ein Blick, vor dem es kein Entrinnen gab.
    Vielleicht hatte dieser Blick auch an dem Morgen vor acht Tagen, als Unwin zum ersten Mal die Frau im karierten Mantel gesehen hatte, auf ihm geruht. Er war früh aufgewacht, hatte sich angezogen, gefrühstückt und sich auf denWeg zur Arbeit gemacht, wobei ihm erst, als er schon unten ein gutes Stück unterwegs war, auffiel, dass der Großteil der Stadt noch schlief. Zum Büro konnte er noch nicht fahren – es würde noch Stunden dauern, bis der Portier mit seinem Schlüsselbund eintreffen würde –, weshalb Unwin in der Nähe im Dunkeln hin und her spaziert war, während Lieferwagen müßig vor den Ladenfronten warteten, die Straßenlaternen über seinem Kopf ein letztes Mal in die Dämmerung blinzelten und ein paar überfällige Zecher Arm in Arm nach Hause wankten.
    Das alles kam ihm jetzt wie ein Traum vor: sein Weg durch die Bahnhofsdrehtür, die Tasse Kaffee am Frühstückswagen, der Fahrplan, den er aus dem Drahtgestell vor dem Informationsschalter genommen hatte. All die Züge, all die Ziele: Für jedes von ihnen, dachte er,
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