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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Archiven der Agentur ruhen würde, ein Schandfleck in Gestalt von Worten! Andererseits schickte sich auch die Wahrheit wohl kaum für einen offiziellen Bericht.Am besten umschiffte er diese Lücke in der Geschichte ganz und gar und hoffte, niemand würde es bemerken.
    Der Fahrstuhlführer war ein weißhaariger Mann, dessen leberfleckige Hände zitterten, wenn er den Hebel umlegte. Er hielt den Fahrstuhl an, ohne auf die Nadel über der Tür zu schauen. «Vierzehnter Stock», sagte er.
    Im vierzehnten Stock standen drei Reihen von jeweils einundzwanzig Schreibtischen, die durch Wände aus Aktenschränken und Bücherregalen abgeteilt waren. Jeder Schreiber verfügte über ein Telefon, eine Schreibmaschine, eine Lampe mit grünem Schirm und einen Ablagekorb. Persönliche Dekoration hatte die Agentur weder verboten, noch war sie ausdrücklich erwünscht, weshalb auf manchen der Tische eine kleine Blumenvase, ein Foto oder eine Kinderzeichnung prangte. Unwins Schreibtisch, der zehnte in seiner Reihe, war von derlei Schnickschnack frei.
    Immerhin war er der Schreiber, der für die Fälle von Detektiv Travis T. Sivart zuständig war. Man munkelte, allerdings niemals allzu laut, ohne Detektiv Sivart gebe es keine Agentur – eine Aussage, die wohl nur geringfügig übertrieben war. Denn in den Bars und Friseurläden der ganzen Stadt, in den Clubs und Salons jeder Güteklasse gab es nur wenige Themen, über die mehr spekuliert wurde als über Sivarts neuesten Fall.
    Auch die Schreiber selbst waren keineswegs immun gegen diese Begeisterung. Allerdings war ihre Ergebenheit mehr persönlicher Natur und wurde nur selten nach außen getragen. Den Gazetten galt Sivart als «der Detektiv aller Detektive», doch auf dem vierzehnten Stock war er einfach einer der Ihren. Und hier brauchte man auch keine Zeitungen, um sich an den Informationshäppchen gütlich zu tun, denn dafür hatte man Unwin. Während er seine Berichteschrieb, beobachteten seine Kollegen insgeheim sehr genau, welche Schubladen er öffnete und welche Register er zurate zog. Die Kühneren unter ihnen wagten es sogar, ihn nach dem Fortschritt seiner Arbeit zu befragen, obwohl er stets darauf achtete, ihnen darauf nicht mehr als eine vage und quälend nichtssagende Antwort zu geben.
    Manche dieser Akten – besonders die über das «Älteste Mordopfer der Welt» oder die «Drei Tode des Colonel Baker» – wurden in kirchlichen Kreisen als Paradebeispiele ihrer Form diskutiert. Selbst Mr. Duden nahm Bezug darauf, meistens dann, wenn er jemanden wegen schlampiger Arbeit rügte. «Ihr glaubt, eure Akten können es mit denen von Unwin aufnehmen», verkündete er dann, «und kennt noch nicht einmal den Unterschied zwischen einem Dolch und einem Stilett?» Oft stellte er auch einfach nur die Frage: «Was, wenn Unwin beim ‹Ältesten Mordopfer der Welt› so geschludert hätte?»
    Der Diebstahl jener dreitausend Jahre alten Mumie war einer von Unwins ersten Fällen gewesen. Er erinnerte sich noch gut an jenen Tag vor mehr als fünfzehn Jahren, als ein Bote ihm Sivarts allerersten Bericht zu dem Fall überbracht hatte. Das war Anfang Dezember gewesen, und es schneite; über das ganze Büro hatte sich eine Stille gelegt, die ihm erwartungsvoll und gespannt vorkam. Er war immer noch der jüngste Angestellte auf dem Stockwerk, und seine Hände zitterten, als er Sivarts hastig getippte Seiten durchblätterte. Der Detektiv hatte lange auf seinen großen Durchbruch gewartet, und Unwin im Stillen mit ihm. Und da war er nun. Ein hochklassiges Verbrechen, ein Raub. Stoff für die Titelseiten.
    Unwin hatte, um ruhiger zu werden, seine Bleistifte gespitzt und die Büroklammern und Gummiringe in seinerSchreibtischschublade nach Größe sortiert. Dann füllte er seinen Federhalter mit frischer Tinte und kippte die kleinen Papiermonde aus dem Auffangbehälter des Lochers weg.
    Als er sich endlich an die Arbeit machte, tat er es mit einer Zielgerichtetheit, die er mittlerweile als waghalsig betrachtete. Akribisch legte er eigene Rubriken an, in die er die Einzelheiten des Falles einordnete, fügte nachfolgende Berichte in Windeseile in das vorhandene Material ein und brachte zum ersten Mal die Identität der Verdächtigen zu Papier, deren Namen fortan die Akten der Agentur heimsuchen würden, so, wie uns gewisse böse Träume verfolgen: Jasper und Josiah Rook, Cleopatra Greenwood, der ruchlose Bauchredner Enoch Hoffmann.
    Hatte Unwin in jener Woche überhaupt geschlafen? Ihm schien, als
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