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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman
Autoren: C.H.Beck
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gründlich getäuscht. Also sind Sie meine größte Chance. Versuchen Sie es diesmal, ja? Versuchen Sie, sich an alles zu erinnern. Denken Sie daran: Kapitel achtzehn. Verstanden?»
    «Ja.»
    «Wiederholen Sie: Kapitel achtzehn.»
    «Kapitel Stoßzahn», sagte Unwin, ohne es zu wollen.
    «Hoffnungslos», brummte Sivart.
    Normalerweise hätte Unwin niemals «Stoßzahn» gesagt, wenn er doch «achtzehn» sagen wollte, nicht einmal im Schlaf. Durch Sivarts Vorwürfe gekränkt, war er mit dem falschen Wort herausgeplatzt, weil er auf einmal an Elefantengedacht hatte und schon vor langer Zeit in irgend einer verstaubten Schublade seines Denkens die Tatsache abgelegt hatte, dass Elefanten niemals vergessen.
    «Das Mädchen», sagte Sivart, und Unwin hatte den Eindruck, der Detektiv würde ihm gleich etwas Wichtiges mitteilen. «Ich habe mich, was sie angeht, getäuscht.»
    Und dann ertönte, wie durch Unwins eigenen Fehler ins Leben gerufen, hoch und volltönend das Trompeten: die unmissverständliche Meinungsäußerung eines Elefanten.
    «Keine Zeit!», sagte Sivart. Er zog den Duschvorhang hinter der Wanne beiseite. Statt einer gefliesten Wand erblickte Unwin die wirbelnden Lichter von Fahrgeschäften und Zirkuszelten aus gestreifter Leinwand, unter deren Dächern breite Gestalten hockten und hüpften. Da gab es Schießbuden und ein Glücksrad und Käfige mit wilden Tieren und ein Karussell, und alles bewegte sich und kreiste unter dem kreisenden Sternenzelt. Wieder trompetete der Elefant, nur war es diesmal ein schrilles und abgehacktes Trompeten, und Unwin musste nach seinem Wecker greifen und ihn abschalten, damit es aufhörte.

Auch Dinge haben ein Gedächtnis. Der Türknauf erinnert sich an denjenigen, der ihn gedreht, das Telefon an den, der den Hörer abgenommen hat. Das Gewehr weiß noch, wann es das letzte Mal abgefeuert wurde, und von wem. Aufgabe des Detektivs ist es, die Sprache dieser Dinge zu lernen, damit er sie verstehen kann, wenn sie ihm etwas mitzuteilen haben.
     
    Unwins feuchte Socken machten schmatzende Geräusche in seinen Schuhen, während er vor der breiten Granitfassade des Agenturgebäudes vom Fahrrad stieg. Es war das höchste Gebäude weit und breit und stand wie ein Wachturm zwischen dem geometrisch angeordneten Zentrum und den krummen Straßen der alten Hafenstadt.
    Unwin wagte sich nur selten in die Gegend südlich der Agentur. Aus Sivarts Berichten wusste er genug darüber, was in den überfüllten Kneipen und den gewundenen Gässchen der zahllosen kleinen Viertel im alten Hafen vorging, um seine Neugier zu befriedigen. Gelegentlich, wenn der Wind aus der richtigen Richtung kam, lag ein betörender Duft in der Luft, der ihn ein wenig beängstigte und auf eine Weise zu locken schien, die er sich nicht recht erklären konnte. Er hatte das Gefühl, als habe sich vor seinen Füßeneine Falltür geöffnet und gebe den Blick auf etwas Unergründliches und Ungekanntes frei – ein Geheimnis, das selbst bis ans Ende der Welt ein Geheimnis bleiben würde. Es verging ein Moment, bis er den Geruch zuordnen konnte, bis er wusste, woher die Brise kam. Dann schüttelte er den Kopf und sprach sich selbst einen Tadel aus. Weil er es so selten sah, vergaß er oft, dass es dennoch da war: das Meer.
    Er nahm sein Fahrrad mit in die Eingangshalle, weil der Portier ihm erlaubte, es an regnerischen Tagen hier abzustellen. Der Blick auf die Wanduhr hinter dem Eingangstresen war quälend. Durch seine Verspätung, das wusste Unwin, würde ein zweiter Bericht zu Händen seines Vorgesetzten notwendig werden. Immerhin war es ja gerade dieser Mr. Duden gewesen, der erst kürzlich die Eingabe gemacht hatte, allen Angestellten der Agentur solle eine Armbanduhr überreicht werden – und würde Mr. Duden dann nicht von ihm erwarten, dass er eben die Tugenden an den Tag legte, die diese Armbanduhr sowohl beförderte als auch verkörperte?
    Was jenes sogenannte
Handbuch für Detektive
anging, so sagte ihm sein gesunder Menschenverstand, dass es besser sei, von einer Lektüre vorerst abzusehen, einschließlich der Seite sechsundneunzig, auf die Detektiv Pith angespielt hatte. Was auch immer für Geheimnisse das
Handbuch
enthielt, für Charles Unwin waren sie nicht gedacht.
    Dennoch saß er in der Zwickmühle. Wie sollte er seine Anwesenheit im Central Terminal an diesem Morgen erklären? Mit der Kaffeegeschichte kam er nicht weiter: Sie wäre nichts anderes als eine krasse Fehldarstellung, die dann für immer in den
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