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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse
Autoren: Robert van Gulik
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Halskette von außen gestohlen werden konnte: nämlich, indem er den Wassergraben zum nordwestlichen Wachturm durchschwamm, dann über den Vorsprung am Fuße der nördlichen Palastmauer ging, die Wand hinaufkletterte und so den Pavillon Ihrer Hoheit erreichte. Die Halskette lag zufällig auf dem Seitentisch links von der Mondtür, und der Dieb brauchte nur die Hand auszustrecken und sie zu nehmen. Ich hoffe, Kang, daß Sie unverzüglich die notwendigen Maßnahmen ergreifen werden, um diese gefährliche Lücke in den Sicherheitsvorkehrungen zu beseitigen.«
    Oberst Kang verneigte sich, dann lehnte er sich mit einem tiefen Seufzer in seinen Stuhl zurück. Richter Di fuhr fort:
    »Nachdem der Kassierer die Halskette gestohlen hatte, beschloß er, sie nicht dem Banditen auszuhändigen, der ihn angeheuert hatte. Er wollte sie behalten und die Perlen eine nach der anderen verkaufen.«
    »Ein unerhörtes Verbrechen!« rief der Oberaufseher ärgerlich aus. »Majestätsbeleidigung! Den Mann hätte man...«
    »Er war ein einfacher junger Bursche«, sagte der Richter ruhig. »Er war sich über die Folgen seines Tuns nicht im klaren. Er wollte Geld, um die Liebe der Frau zu gewinnen, die, so glaubte er, in einem Dorf im Nachbarbezirk auf ihn wartete. Wir sollten ihn nicht zu hart beurteilen. Sein Leben war grau und eintönig, und er sehnte sich nach Liebe und Glück an einem fernen Ort hinter den Bergen. Viele haben solche Träume geträumt.« Richter Di strich sich über den Bart und warf einen raschen Blick auf Oberst Kangs unbewegliches Gesicht. Sachlich fuhr er fort: »Als der Kassierer vom Palast zurückgekehrt war, stattete er der Herberge >Zum Eisvogel< einen kurzen Besuch ab, dann ritt er fort. Aber er wurde von den Männern des Banditen abgefangen, und als er ihnen sagte, er habe die Halskette nicht, folterten sie ihn. Er starb, bevor er verraten konnte, wo er sie versteckt hatte. Hauptmann Sju, ich möchte nun Ihre Zeugenaussage hören.«
    Der Hauptmann kniete sogleich nieder. »Berichten Sie, was Sie bei Tai Mins Leiche gefunden haben, nachdem sie im Fluß entdeckt worden war!«
    »Er trug nur seine Jacke, Exzellenz. In den Ärmeln fanden wir ein Päckchen mit seinen Namenskarten, einen Plan dieser Provinz, einen Strang mit zweiunddreißig Münzen und seinen Abakus.«
    »Das ist alles, Hauptmann.« Der Richter lehnte sich nach vorn und fuhr fort: »Tai Min stieß auf ein sehr einfaches, aber sehr wirkungsvolles Versteck für die Halskette, meine Herren. Er durchtrennte die Schnur und verbarg die losen Perlen in einem Gegenstand, mit dem er als Kassierer jeden Tag umging und den deshalb jedermann für selbstverständlich halten würde. Hier ist er!«
    Er nahm den Abakus aus der Schublade, die vor ihm stand, und hielt ihn hoch.
    Als seine beiden Gäste das Rechenbrett ungläubig anstarrten, zerbrach Richter Di den Holzrahmen des Abakus und ließ die dunkelbraunen Kügelchen von ihren parallel gespannten Drähten in die Porzellanschale gleiten. Dann begann er die Schale zu schwenken, so daß die kleinen Kugeln in der lauwarmen Lauge umherrollten. Währenddessen fuhr er fort:
    »Bevor er die ursprünglichen Holzkügelchen durch die Perlen ersetzte, hatte er jede Perle mit einer Schicht von jener braunen Gummilösung bedeckt, wie sie Kassierer benutzen, um Rechnungen aneinanderzuheften. Das Gummi wurde hart, und sogar eine ganze Nacht im Fluß hat es nicht aufgelöst. Diese warme Lauge jedoch sollte sich als wirksamer erweisen.«
    Der Richter nahm zwei der kleinen Kugeln aus der Schale. Sorgfältig rieb er sie mit dem Stückchen Seide trocken und zeigte sie dann den anderen: Auf seiner offenen Handfläche schimmerten zwei perfekt gerundete Perlen in einem reinen, weißen Glanz. Feierlich fuhr er fort:
    »Hier in dieser Schale ruhen die Perlen der Kaiserlichen Halskette, meine Herren. Ich werde nun in Ihrer Gegenwart prüfen, ob alle vierundachtzig vorhanden sind. Hauptmann, holen Sie einen Seidenfaden und eine Nadel!«
    Der Oberaufseher starrte mit zusammengepreßten Lippen auf die Schale. Oberst Kang sah fest in Richter Dis unbewegliches Gesicht, seine eisernen Fäuste umklammerten das Schwert auf seinen Knien.
    Hauptmann Sju war in erstaunlich kurzer Zeit zurück. Neben dem Richtertisch stehend, reinigte er die Perlen und fädelte sie dann mit seinen dicken, aber sehr geschickten Fingern auf. Nachdem der Richter sie gezählt und festgestellt hatte, daß alle da waren, schob er die Halskette in seinen Ärmel und
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