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Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus
Autoren: D Koontz
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1 Der nördliche Aufzug
    Verbittert und betrunken kehrte Earl Blandon, ehemaliger Senator der Vereinigten Staaten, an jenem Donnerstag um zwei Uhr fünfzehn morgens mit einem neuen Tattoo nach Hause zurück: eine Unflätigkeit aus zwei Wörtern, die er sich in blauen Blockbuchstaben zwischen die Knöchel des Mittelfingers seiner rechten Hand hatte tätowieren lassen. Am früheren Abend hatte er in einer Cocktailbar einem anderen Gast, der kein Englisch sprach, diesen steifen Finger entgegengereckt. Der Mann war nur zu Besuch hier und kam aus einer rückständigen Region irgendwo in der Dritten Welt, wo die Bedeutung der anstößigen Geste trotz unzähliger Hollywoodfilme, in denen zahllose Lein wandidole anderen den Stinkefinger zeigten, offenbar nicht bekannt war. Tatsächlich schien der ignorante Ausländer den erhobenen Finger sogar als eine Art freundliche Begrüßung aufzufassen und reagierte darauf mit mehrfachem Nicken und einem Lächeln. Earl war dermaßen frustriert, dass er die Cocktailbar schleunigst verließ und sich auf direktem Wege zu einem Tätowierer in der Nähe begab, wo er den Rat des Nadelkünstlers missachtete und sich im Alter von achtundfünfzig Jahren seine erste Körperverzierung zulegte.
    Als Earl durch den Haupteingang das Foyer des exklusiven Pendleton betrat, grüßte ihn Norman Fixxer, der Nachtportier, mit Namen. Norman saß auf einem Hocker hinter dem Emp fangsschalter auf der linken Seite, hatte ein aufgeschlagenes Buch vor sich liegen und sah aus wie die Puppe eines Bauchredners: die Augen weit aufgerissen, blau und glasig, tief ein gekerbte Marionettenfalten wie auffällige Narben im Gesicht, den Kopf in einem eigentümlichen Winkel schief gelegt. In dem maßgeschneiderten schwarzen Anzug, einem strahlend weißen Hemd, mit einer schwarzen Fliege und weißem Einstecktuch, das perfekt aus der Brusttasche seiner Anzugjacke schaute, war Norman für die Begriffe der beiden anderen Portiers, die ihre Schichten vor ihm absolvierten, overdressed.
    Earl Blandon konnte Norman nicht leiden. Er traute ihm nicht. Der Pförtner bemühte sich zu sehr. Er war übertrieben höflich. Earl traute keinen höflichen Menschen, die sich zu sehr bemühten. Bei ihnen stellte sich immer heraus, dass sie etwas zu verbergen hatten. Manchmal verbargen sie den Um stand, dass sie FBI -Agenten waren, und gaben sich stattdessen als Lobbyisten mit Koffern voller Bargeld und großem Respekt vor dem Einfluss eines Senators aus. Earl verdächtigte Norman Fixxer nicht, ein getarnter FBI -Agent zu sein, doch er war mit Sicherheit mehr als das, wofür er sich ausgab.
    Earl quittierte Normans Begrüßung mit nichts weiter als einem finsteren Blick. Er hätte gern seinen frisch beschrifteten Mittelfinger gehoben, aber er hielt sich zurück. Es wäre eine schlechte Idee, einen Pförtner zu kränken. Post konnte verloren gehen. Der Anzug, den man am Mittwochabend aus der chemischen Reinigung zurückerwartete, mochte erst eine Woche später in der Wohnung abgegeben werden. Mit Essensresten bekleckert. Einerseits war es ihm ein Bedürfnis, Norman den Mittelfinger zu zeigen, aber andererseits würde eine umfassen de Entschuldigung erfordern, dass er die übliche Weihnachtszulage verdoppelte.
    Daher hielt Earl die Hand mit dem verzierten Finger fest zur Faust geballt, während er mit finsterer Miene über den Marmorboden des Foyers lief. Durch die Zwischentür, deren Summer Norman betätigt hatte, betrat er den Gemeinschaftsflur, wo er sich nach links wandte und auf dem Weg zum nördlichen Aufzug bei der Aussicht auf einen Schlummertrunk genüsslich seine Lippen leckte.
    Seine Wohnung befand sich im zweiten Stock und somit in der obersten Etage. Er hatte keinen Ausblick auf die Stadt, nur Fenster zum Innenhof. Das Stockwerk bot sieben weiteren Wohnungen Platz, doch die Lage der seinen war gut genug, um von einem Penthouse zu sprechen, insbesondere, da es sich bei dem Gebäude um das renommierte Pendleton handelte. Earl hatte früher ein Herrenhaus mit siebzehn Zimmern besessen, umgeben von zwei Hektar Land. Das Anwesen und andere Werte hatte er zu Geld gemacht, um die horrenden Honorare von blutsaugenden Strafverteidigern zu bezahlen – verlogene Schurken, die alle in der Hölle schmoren sollten, das reinste Natterngezücht.
    Als sich die Türen des Aufzugs schlossen und die Kabine nach oben zu fahren begann, betrachtete Earl das handgemalte Wandgemälde über der weißen Täfelung, das auch die Decke einbezog: Rotkehlchen, die
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