Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus
Autoren: D Koontz
Vom Netzwerk:
sich freudig in einen Himmel auf schwangen, dessen Wolken von Sonnenschein vergoldet wurden. Manchmal, jetzt zum Beispiel, erschienenen ihm die Schönheit der Szene und die Freude der Vögel gekünstelt und unangenehm aufdringlich, und er hätte sich gern eine Dose Sprühfarbe besorgt und das gesamte Bild unkenntlich gemacht.
    Vielleicht hätte er es tatsächlich in einem Akt von Vandalismus zerstört, wenn die Sicherheitskameras in den Fluren und im Aufzug nicht gewesen wären. Aber die Wohnungseigentümergemeinschaft würde es ja doch nur restaurieren und ihn die Arbeit bezahlen lassen. Ihm wurden keine großen Summen mehr in Koffern, Reisetaschen, dicken gelbbraunen Umschlägen, in Einkaufstüten, in Donutkartons oder durch kostspielige Edelnutten überbracht, die Bündel von Scheinen mit Klebe band an ihren Körpern befestigt hatten und bei ihrem Eintreffen unter den ledernen Trenchcoats nackt waren. Derzeit verspürte der ehemalige Senator so häufig den Drang, so viele Dinge zu verunstalten, dass er sich dringend um Selbstbeherrschung bemühen musste, wenn er sich nicht durch mutwillige Zerstörung ins Armenhaus bringen wollte.
    Er schloss die Augen, damit er die schmalzige Szene nicht länger zu sehen brauchte – Rotkehlchen am sonnendurchfluteten Himmel. Als die Lufttemperatur von einem Moment auf den anderen abrupt um vielleicht zehn Grad sank, während der Lift durch den ersten Stock fuhr, riss Earl erschrocken die Augen auf und drehte sich bestürzt um, sowie er sah, dass ihn das Wandgemälde nicht mehr umgab. Auch die Sicherheitskamera fehlte. Die weiße Wandtäfelung war ebenfalls verschwunden. Kein Marmor mit Einlegearbeiten unter seinen Füßen. An der Edelstahldecke verströmten Kreise aus einem undurchsichtigen Material blaues Licht. Die Wände, die Türen und der Fußboden bestanden samt und sonders aus gebürstetem Edelstahl.
    Ehe Earl Blandons Gehirn, das gründlich in Martini mariniert war, die Verwandlung des Aufzugs vollständig verarbeiten und akzeptieren konnte, beendete die Kabine ihre Fahrt nach oben – und sackte in die Tiefe. Sein Magen schien sich zu heben und dann ebenfalls herabzustürzen. Er taumelte zur Seite, umklammerte den Handlauf und schaffte es, auf den Füßen zu bleiben.
    Die Kabine wackelte nicht und sie wankte auch nicht. Kein Surren von Schachtseilen. Die Kabel liefen geräuschlos über gut geschmierte Rollen. Mit der Geschwindigkeit eines Expresslifts raste der Stahlkasten geschmeidig und lautlos nach unten.
    Vorher war die Positionsanzeige des Lifts – U , E , 1, 2 – ein Teil des Bedienungsfelds rechts neben der Tür gewesen. So war es immer noch, doch jetzt begannen die Zahlen bei 2, führten abwärts zu 1 und zu E und zu U , gefolgt von einer neuen Zahlenreihe von 1 bis 30. Das hätte ihn selbst dann verwirrt, wenn er nüchtern gewesen wäre. Während die Ziffern im Anzeigefeld stiegen – 7, 8, 9 –, sank die Kabine immer tiefer. Er konnte eine Aufwärtsbewegung nicht irrtümlich für eine Abwärtsbewegung halten. Der Boden schien unter ihm herauszufallen. Außerdem hatte das Pendleton nur vier Etagen und davon drei über dem Boden. Die Etagen, die auf diesem Bedienungsfeld dargestellt waren, mussten unterirdisch sein. Sie mussten alle unter dem Keller liegen.
    Aber das war nicht einleuchtend. Das Pendleton hatte nur ein Kellergeschoss, ein einziges unterirdisches Stockwerk, nicht dreißig oder einunddreißig.
    Also konnte das hier nicht mehr das Pendleton sein. Was noch weniger einleuchtend war. Es war sogar vollkommen unsinnig.
    Vielleicht war er ohnmächtig geworden. Ein Wodka-Albtraum.
    Doch kein Traum konnte so lebhaft sein, von einer derart aus geprägten Körperlichkeit. Sein Herz donnerte. Der Puls pochte in seinen Schläfen. Säurereflux ließ seine Kehle brennen, und als er schwer schluckte, um die bittere Flüssigkeit gewaltsam nach unten zurückzudrängen, traten ihm vor Anstrengung Tränen in die Augen und ließen alles verschwimmen.
    Er tupfte die Tränen mit dem Ärmel seines Jacketts weg. Blinzelnd starrte er auf die Leuchtanzeige: 13, 14, 15 …
    Plötzlich versetzte ihn die intuitive Überzeugung in Panik, dass er an einen Ort befördert wurde, der ebenso grauenerregend wie geheimnisvoll war, und er ließ den Handlauf los. Earl trat auf die andere Seite der Kabine und suchte das von hinten erleuchtete Bedienungsfeld nach einem Nothalteknopf ab.
    Es gab keinen.
    Als die Kabine an der 23 vorbeikam, presste Earl einen Daumen fest auf den Knopf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher