Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus
Autoren: D Koontz
Vom Netzwerk:
für die 26, doch der Aufzug hielt nicht an und wurde nicht einmal langsamer, bis er an der 29 vorbeifuhr. Erst dann ließ der Schwung rasch und doch reibungslos nach. Mit einem schwachen feuchten Zischen wie von Hydraulikflüssigkeit, die in einen Zylinder gepresst wird, kam die Kabine vollständig zum Stehen, anscheinend dreißig Stockwerke unter der Stadt.
    Durch eine übernatürliche Angst ernüchtert – er hätte allerdings nicht sagen können, wovor er sich fürchtete – wich Earl Blandon von der Tür zurück. Mit einem dumpfen Geräusch prallte er gegen die Rückwand der Kabine.
    In seiner sagenumwobenen Vergangenheit als Mitglied des Senatsausschusses zur parlamentarischen Kontrolle des Verteidigungsministeriums und zur militärischen Handlungsfreiheit der Vereinigten Staaten hatte er einmal eine Zusammenkunft besucht, die in dem Bunker tief unter dem Weißen Haus statt gefunden hatte, wo der Präsident eines Tages versuchen könnte, einen nuklearen Holocaust zu überstehen. Diese Festung in der Tiefe war hell und sauber gewesen, und doch hatte sie auf ihn einen bedrohlicheren Eindruck gemacht als jeder Friedhof bei Nacht. Aus seinen frühesten Zeiten als Landesgesetzgeber, zu denen er noch geglaubt hatte, an solchen einsamen Orten könnte niemand aus Erde, Gräbern und Staub wiedererweckt werden, um die Übergabe einer Bestechungssumme zu bezeugen, besaß er einige Erfahrung mit Friedhöfen. Und dieser stille Aufzug kam ihm sogar noch viel bedrohlicher vor als der Präsidentenbunker.
    Er wartete darauf, dass sich die Tür öffnete. Und wartete.
    Während seines ganzen Lebens war er nie ein furchtsamer Mann gewesen. Stattdessen löste er in anderen Furcht aus. Es überraschte ihn, dass es möglich war, ihn so plötzlich und so vollständig in Panik zu versetzen. Aber ihm war klar, was ihn in diesen erbärmlichen Zustand versetzte: Anzeichen für etwas Jenseitiges.
    Als strikter Materialist glaubte Earl nur an das, was er sehen, anfassen, schmecken, riechen und hören konnte. Er verließ sich auf nichts als sich selbst und er brauchte niemanden. Er glaubte an seine mentale Stärke, an seine einzigartige Gerissenheit, jede Situation zu seinem Nutzen manipulieren zu können.
    Doch in Gegenwart des Unheimlichen war er wehrlos.
    Schauer durchzuckten ihn mit einer solchen Heftigkeit, dass es schien, als könnte er hören, wie seine Knochen aneinanderschlugen. Er versuchte seine Hände zu Fäusten zu ballen, erwies sich jedoch als so schwach vor Grauen, dass es ihm nicht gelang. Er hob sie seitlich in die Höhe und sah sie an, um ihnen seinen Willen aufzuzwingen – sie mit reiner Geisteskraft dazu zu bewegen, dass sie sich zu Waffen mit festen Knöcheln schlossen.
    Er war wieder nüchtern genug, um zu begreifen, dass dem ahnungslosen Besucher aus der Dritten Welt die beabsichtigte Kränkung in der Cocktailbar nicht einmal durch die beiden Wörter, die jetzt auf den Mittelfinger seiner rechten Hand tätowiert waren, klarer geworden wäre. Wahrscheinlich konnte der Typ die englische Sprache genauso wenig lesen wie sprechen.
    Earl kam einer negativen Selbstbeurteilung näher denn je, als er vor sich hin murrte: »Du Idiot.«
    Als die Türen des Aufzugs zur Seite glitten, schien sich seine vergrößerte Prostata ganz im Gegensatz zu seinen Händen zu fest zusammenzuziehen. Er stand bedrohlich dicht davor, sich in die Hose zu pinkeln.
    Jenseits der offenen Tür lag nichts anderes als eine so vollkommene Dunkelheit, dass sie ein Abgrund zu sein schien, riesig und vielleicht bodenlos, den das blaue Licht des Aufzugs nicht durchdringen konnte. In dieser eisigen Grabesstille stand Earl Blandon regungslos da und war jetzt sogar für das Pochen in seiner Brust taub, als sei sein Herz plötzlich blutleer. Das war die Stille an der Grenze der Welt, wo es keine Luft zum Atmen gab und wo die Zeit endete. Es war das Grauenhafteste, was er jemals gehört hatte – bis aus der Schwärze jenseits der offenen Tür ein noch alarmierenderes Geräusch drang, das Geräusch von etwas, das näherkam.
    Ein Klicken, ein Kratzen, ein gedämpftes Rascheln: Es war entweder die blinde, aber beharrliche Suche von etwas Großem und Seltsamem, das das Vorstellungsvermögen des Senators über stieg … oder die einer Horde von kleineren, aber deshalb nicht weniger mysteriösen Geschöpfen, eines emsigen Schwarms. Ein schrilles Wehklagen, von seinem Wesen her beinah elektronisch und doch unverkennbar eine Stimme, zuckte durch die Schwärze, ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher