Halskette und Kalebasse
Militärschreiber. An der Wand hinter der Richterbank befand sich ein hoher Tisch mit einem bronzenen Räucherfaß darauf. Der mit Steinfliesen belegte Fußboden war nackt.
»Nehmen Sie das niedrige Pult weg, Liu, und stellen Sie rechts und links von der Richterbank einen Lehnstuhl auf. Bringen Sie mir eine große Kanne heißen Tee!«
Der Richter setzte sich in den Lehnstuhl hinter der Bank. Als der Leutnant eine große Teekanne aus blauem und weißem Porzellan gebracht und eine Tasse vollgeschenkt hatte, befahl der Richter ihm, draußen zu warten. Er sollte dafür sorgen, daß niemand außer dem Oberaufseher, dem Oberst und Hauptmann Sju den Saal betrat. Dann lehnte Richter Di sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete, sich langsam über den Backenbart streichend, den leeren Saal. Er erinnerte ihn an seine eigene Gerichtshalle in Pu-yang. Wenn alles glattging, konnte er in ein oder zwei Tagen wieder dort sein.
Nachdem Richter Di mehrere Tassen Tee getrunken hatte, kam Hauptmann Sju und übergab ihm die gelbe Rolle. Der Richter erhob sich, zündete den Weihrauch in dem bronzenen Räucherfaß an und legte die gelbe Rolle davor, auf den für Kaiserliche Erlasse reservierten Ehrenplatz. Der Hauptmann öffnete das in rote Seide gewickelte Bündel. Richter Di vertauschte sein Käppchen mit der hohen, goldbesetzten Flügelkappe aus schwarzem Samt, deren Stirnseite mit den goldenen Insignien seines gegenwärtigen erhöhten Ranges verziert war. Nachdem er sich die breite gelbe Stola um die Schultern gelegt hatte, nahm er seinen Platz wieder ein und teilte dem Hauptmann mit, die Audienz könne beginnen.
Die Flügeltüren wurden aufgerissen, und der Palastoberaufseher schritt herein, prächtig anzusehen in seinem weiten Zeremonialgewand aus violettem, goldbesticktem Brokat und mit der hohen, dreistufigen Kappe, die er auf dem Kopfe trug. Ihm folgte der Oberst, der in einem vergoldeten Panzerhemd mit wunderbar geformten Brust-und Schulterplatten prangte. Beide verneigten sich tief, wobei die langen bunten Federn auf dem Goldhelm des Oberst den Boden berührten. Dann traten sie vor die Richterbank und knieten auf dem Steinboden nieder.
»Sie können sich erheben«, sagte Richter Di kurz. »Dies ist eine ganz zwanglose Audienz. Sie dürfen deshalb auf den Lehnstühlen hier Platz nehmen. Der Hauptmann wird an der Tür stehen und dafür sorgen, daß wir nicht gestört werden.«
Seine beiden Gäste setzten sich steif. Oberst Kang legte sein breites Schwert über die Knie. Richter Di leerte bedächtig seine Teetasse, dann richtete er sich auf und sprach:
»Seine Kaiserliche Majestät hat geruht, mich mit der Untersuchung einiger Unregelmäßigkeiten zu beauftragen, die sich unlängst im Wasserpalast ereignet haben -Unregelmäßigkeiten, die im Verschwinden eines Kaiserlichen Schatzes, der Perlenhalskette Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Dritten Prinzessin, gipfeln. Sie beide und der Obereunuch als die drei höchsten Beamten im Wasserpalast werden dafür verantwortlich gemacht. Ich brauche Sie hoffentlich nicht daran zu erinnern, daß dies eine außerordentlich ernste Situation ist.«
Die beiden Männer verneigten sich.
»Ich habe meine Untersuchung inzwischen beendet, und wir begeben uns in Kürze zum Palast, wo ich den Obereunuchen anweisen werde, bei Ihrer Kaiserlichen Hoheit um eine Audienz nachzusuchen, damit ich meinen Bericht vortragen kann. Wie es jedoch der Zufall will, ist der Diebstahl der Halskette eng mit einem anderen abscheulichen Verbrechen verbunden, das hier in dieser Stadt verübt wurde. Um die verwickelte Situation zu klären, möchte ich zuerst jenen Mordfall in Ihrer Gegenwart abschließen.« Indem er sich erhob, fügte er hinzu: »Ich bitte Sie, mich in die Herberge >Zum Eisvogel< zu begleiten.«
Neunzehntes Kapitel
In der leeren Straße warteten zwei riesige, mit Brokatvorhängen versehene Sänften, bei jeder standen ein Dutzend Träger. Davor und dahinter hatten Gardistenabteilungen Aufstellung genommen; sie waren bis an die Zähne bewaffnet und hielten ihre langen Hellebarden in die Höhe.
Richter Di bestieg die Sänfte des Oberaufsehers und bedeutete diesem, sich zu ihm zu setzen. Auf dem kurzen Weg zum >Eisvogel< wurde kein Wort gesprochen.
Herr Wei stand in der Halle, zusammen mit etwa einem Dutzend Gäste. Sie unterhielten sich eifrig darüber, wer wohl der hohe Kaiserliche Beamte sein mochte, der ihrer Stadt einen Besuch abstattete. Dem Richter fiel ein dünnes, ziemlich hübsches
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