Halskette und Kalebasse
verschwinden. Richter Di straffte sich und wandte sich um.
Der Oberaufseher hatte die Arme in den geräumigen Ärmeln seiner prächtigen Robe verschränkt. Sein arroganter Gesichtsausdruck ließ deutlich erkennen, daß er das Vorgehen gründlich mißbilligte, sich jedoch resigniert einer höheren Autorität fügte. Oberst Kang warf Hauptmann Sju einen fragenden Blick zu, der runzelte die Stirn und sah den Leutnant an. Aber Lius Augen waren auf Richter Di geheftet. Wei stand zwischen zwei Gardisten an der Tür. Der Richter deutete auf die Wand über den Säcken und sagte:
»Jemand hat an diesem Teil der Wand herumgepfuscht. In einer dilettantischen Weise. Holen Sie einen Hammer und ein Brecheisen aus der Küche, Liu!« Nachdenklich strich er sich den Bart glatt und überlegte, daß er den frischen weißen Zement zwischen den Steinen in dem schlechten Licht der vergangenen Nacht übersehen hatte. Er sah auf den leeren Beutel hinab, über den er gestolpert war. Offensichtlich war darin der Kalk gewesen. Und was den schrecklichen Alptraum betraf, den er gehabt hatte, als er dort schlief... Zweifelnd schüttelte er den Kopf.
Sobald Liu ein paar Steine aus der Wand gelöst hatte, erfüllte ein ekelerregender Gestank den Raum. Der Oberaufseher trat schnell zurück und bedeckte Mund und Nase mit seinem Ärmel. Dann ließ Liu sein ganzes Gewicht auf die Brechstange einwirken, und eine Unmenge von Steinen stürzte zu Boden. Der Herbergswirt fuhr zur Tür herum, aber die Gardisten packten ihn an den Armen.
In dem Loch in der Wand war die Gestalt einer stehenden Frau zu sehen. Sie trug ein mit Kalk und Zement beflecktes blaues Gewand, der Kopf lag in einem unnatürlichen Winkel auf ihrer Brust, und das lange Haar hing in einer wirren Masse herab. Der Wirt schrie, als die Leiche langsam vornüber sank und auf den Boden stürzte.
Richter Di bückte sich und wies schweigend auf das halb zersetzte Naschwerk, das, schwarz von krabbelnden Ameisen, aus ihrem linken Ärmel gefallen war.
»Ich gebe zu, daß Sie nicht viel Zeit hatten, Wei«, sagte er kalt, »aber den toten Körper einzumauern, ohne vorher die Kleider zu untersuchen, war ein grober Fehler. Die Bonbons lockten die Ameisen an, und diese fleißigen Insekten lieferten mir den Anhaltspunkt, wo Sie die Leiche verborgen hatten. Heraus damit, wie haben Sie Ihre Frau ermordet?«
»Es ... es war zur Zeit des Abendessens«, stammelte Wei mit gesenktem Kopf. »Alle Angestellten waren damit beschäftigt, die Gäste in ihren Zimmern zu bedienen. Ich erwürgte sie, in meinem Büro. Dann schaffte ich sie hierher... Sie...« Er brach in Schluchzen aus.
»Zu gegebener Zeit, Sju«, sagte Richter Di, »werden Sie Wei unter der Anklage des vorsätzlichen Mordes vor Gericht stellen.
Sie, Liu, sorgen dafür, daß der Mörder ins Gefängnis gesperrt wird.« Er drehte sich auf dem Absatz um und forderte die anderen auf, ihm zu folgen. Während sie die Halle durchquerten, deutete er auf den Empfangstisch.
»Nehmen Sie beide Schubladen heraus, Sju, und bringen Sie sie in den Gerichtssaal. Mit vollständigem Inhalt, wohlgemerkt! Wir kehren jetzt zum Hauptquartier zurück, meine Herren.«
In der Sänfte äußerte sich der Oberaufseher zum ersten Mal.
»Ein bemerkenswertes Deduktionsbeispiel, Exzellenz. Dennoch war es nur ein primitives Gewaltverbrechen, das in der unteren Schicht begangen wurde. Darf ich fragen, in welchem Zusammenhang es mit den ernsten Palastangelegenheiten steht, die uns betreffen?«
»Das werden Sie gleich erfahren«, erwiderte der Richter ruhig.
Zwanzigstes Kapitel
Als sie wieder im Gerichtssaal waren, befahl Richter Di dem Hauptmann, die beiden Schubladen auf den Richtertisch zu stellen. Dann hieß er ihn eine große Schale mit einer lauwarmen Reinigungsflüssigkeit und ein Stück weiche, weiße Seide holen.
Der Richter schenkte sich eine Tasse Tee ein. Die drei Männer warteten schweigend, bis der Hauptmann wieder erschien. Nachdem Sju die Porzellanschale auf dem Richtertisch abgestellt und ein Stück Seide dazugelegt hatte, sagte Richter Di:
»Ich komme nun zu der Frage der Halskette. Sie wurde von Tai Min, dem Kassierer des >Eisvogels< gestohlen. Er war von einem berüchtigten Banditen, der zeitweilig in dieser Stadt wohnte, zu jenem Zweck angeheuert worden.«
Oberst Kang horchte auf. Gespannt fragte er:
»Wie wurde sie gestohlen, Exzellenz?«
»Die Drahtzieher hinter dem Banditen hatten den Kassierer mit genauen Instruktionen versorgt, wie die
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