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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse
Autoren: Robert van Gulik
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Dienstpläne der Garde darstellten. Kang blätterte, bis er das richtige Datum fand. Hier studierte er die kurze Notiz, die an den Rand geschrieben stand. Er blickte auf und sagte:
    »Eine halbe Stunde vor Mitternacht fing das Dach eines Teepavillons im sechsten Hof, im nordwestlichen Winkel der Anlage, plötzlich Feuer. Ich befand mich zu jener Zeit in einem anderen Teil des Palastes, aber mein stellvertretender Befehlshaber schickte sogleich eine Abteilung hinüber, und sie löschten das Feuer ohne Schwierigkeiten. Es scheint jedoch, daß der Obereunuch den Rauch sah und eine Nachricht sandte, in der er darum bat, sofort den ganzen Bereich abzuriegeln, damit ja keine fliegenden Funken die Gemächer Ihrer Hoheit erreichten. Meine Männer gaben den Wachen auf den westlichen und nördlichen Festungswällen die notwendigen Befehle. Eine Stunde nach Mitternacht kehrten sie auf ihre Posten zurück.«
    »Können Sie das beweisen?«
    Der Oberst schlug die Seite um. An ihr war ein roter Papierstreifen mit ein paar hingekritzelten Informationen und dem Siegel des Obereunuchen befestigt.
    Richter Di nickte. »Wir werden uns nun gemeinsam zum Büro des Obereunuchen begeben, meine Herren.«
    Die Neuigkeit von der Ankunft des Kaiserlichen Untersuchungsbeamten hatte sich schon durch den ganzen Palast verbreitet. Die Wachen am Büro des Obereunuchen öffneten weit das Tor für die drei Besucher, und der fettleibige Eunuch kam herausgestürzt, um sie zu begrüßen. Er warf sich auf den Boden und berührte die Steinplatten mit der Stirn.
    »Sie warten hier im Gang«, sagte der Richter zu seinen beiden Begleitern. »Ich werde hineingehen und um die Erlaubnis bitten, die Goldene Brücke zu überqueren.«
    Er klopfte an die goldlackierte Tür. Als keine Antwort kam, ging er hinein und schloß die Tür hinter sich.
    In der eleganten Bibliothek war niemand zu sehen. Ein muffiger Geruch von alten Büchern vermischte sich mit dem schweren Duft der Orchideen auf der Fensterbank. Richter Di blickte hinaus. Der alte Mann, in ein einfaches langärmeliges Morgengewand gekleidet, auf dem Kopf eine Hauskappe aus Gaze, stand bei einem hohen Stein unten im Garten. Der Richter ging nach draußen und folgte dem schmalen, gepflasterten Pfad, der sich im Zickzack zwischen kleinen Goldfischteichen und blühenden Büschen hindurchwand. Winzige bunte Vögel zwitscherten in den grünen Blättern, die vom Morgentau noch glänzten.
     

    Der Obereunuch zeigt Richter Di eine seltene Orchidee
     
    Der Obereunuch wandte sich um. Er sah den Richter mit seinen durch die Lider halb verdeckten Augen an und sagte:
    »Etwas Wunderbares ist heute nacht geschehen, Di! Sehen Sie nur, diese seltene Blume hat sich plötzlich geöffnet! Beachten Sie die zierlich geformten Blütenblätter, die samtene Farbe! Ich hatte sie von einem Sonderkurier aus den südlichen Regionen hierher bringen lassen. Drei Monate lang habe ich mich persönlich um sie gekümmert. Aber ich hätte nie zu hoffen gewagt, daß es mir gelingen würde, sie zum Blühen zu bringen!«
    Richter Di beugte sich über die Orchidee. Sie war so groß wie eine Männerhand und wurzelte in der Vertiefung eines Palmenstammes, der sich an den Stein schmiegte. Ihre gelben Blütenblätter, mit violett-schwarzen Flecken darauf, verliehen der Blume beinahe etwas Katzenartiges. Die Orchidee verströmte einen schwachen, aber deutlich wahrnehmbaren Duft.
    »Ich muß gestehen, daß ich noch nie etwas Ähnliches gesehen habe«, sagte er, indem er sich aufrichtete.
    »Und Sie werden so etwas auch nie wieder sehen«, sagte der alte Mann ruhig. Er knipste den Stengel mit seinen langen Fingernägeln ab und hob die Blüte an seine Nase. Während er sie langsam hin und her bewegte, fuhr er fort: »Als Sie vorgestern hierher kamen, wußte ich gleich, daß Sie nicht nur ein Arzt sein konnten. Denn dann hätten Sie, als Sie mich und meinen Lieblingsscharfrichter hinter mir sahen, vor Angst gezittert, ja Sie wären sogar am Boden gekrochen. Statt dessen tauschten Sie tiefsinnige Bemerkungen mit mir aus, wie mit einem Gleichgestellten. Wenn Sie das nächste Mal in einer Verkleidung auftreten, achten Sie darauf, daß Sie auch Ihre Persönlichkeit verkleiden, Di!«
    »Sie haben entschlossene Anstrengungen unternommen, mich beseitigen zu lassen«, sagte der Richter. »Aber das Glück war auf meiner Seite, und ich werde Ihrer Kaiserlichen Hoheit nun die Perlenhalskette zurückgeben. Ich bitte Sie daher um die Erlaubnis, die Goldene Brücke
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