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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse
Autoren: Robert van Gulik
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»Ich habe keinen. Ich bin bloß ein Wandermönch. Der taoistischen Glaubensrichtung.« »Ich verstehe. Ich hatte Sie für einen Kollegen gehalten. Was haben Sie in Ihrer Kalebasse?«
    »Leere, mein Herr. Nichts als Leere. Wertvoller als alle Arzneien, die Sie bei sich haben mögen, Doktor! Nichts für ungut. Aber Leere ist wichtiger als Fülle. Sie können den feinsten Ton nehmen und ein hübsches Gefäß daraus machen, ohne seine Leere wäre es jedoch unbrauchbar. Und wie kunstvoll Sie eine Tür oder ein Fenster auch verzieren, ohne ihre Leere wären sie zu nichts nutze.« Mit einem Schnalzen der Zunge trieb er seinen Esel an, dann fügte er noch hinzu: »Man nennt mich Meister Kalebasse.«
    Die Tatsache, daß der andere ein taoistischer Mönch war und somit den üblichen Höflichkeiten keinerlei Bedeutung beimaß, enthob den Richter jeglicher Verpflichtung, seinen Namen und seinen wahren Beruf zu nennen. Er fragte:
    »Was sagten Sie da von einer Person, die im Fluß gefunden wurde?«
    »Als ich die Stadt verließ, hörte ich, daß ein Mann von zwei Fischern an Land gebracht worden war. Dies ist die Abkürzung. Ich reite voraus.«
    Der schmale Waldweg führte zu einem bebauten Feld, wo ein Bauer mit gekrümmtem Rücken, in einem Regenmantel aus Stroh, Unkraut ausgrub. Über einen schlammigen Pfad gelangten sie zu der Straße, die am Hafenviertel vorbeiführte. Es hatte aufgehört zu nieseln, und ein dünner Dunstschleier hing nun über der weiten, braunen Wasserfläche. Kein Windhauch regte sich, die heiße, feuchte Luft lastete drückend auf der Stadt. Hübsche Häuser säumten die Straße, und die Passanten waren gut gekleidet. Nirgendwo war ein Bettler zu sehen.
    »Sieht wie eine wohlhabende Stadt aus«, bemerkte der Richter.
    »Es ist eine kleine Stadt, aber sie profitiert vom Verkehr auf dem Fluß, vom guten Fischfang und von der Kundschaft aus dem Wasserpalast. Das ist einer der freistehenden kaiserlichen Paläste, im Osten der Stadt, auf der anderen Seite des Kiefernwaldes. Dieser westliche Stadtteil ist das ärmere Viertel. Die Reichen leben im Ostteil, hinter dem Fischmarkt dort drüben. Ich werde Ihnen die beiden besten Herbergen zeigen, die eine heißt >Zum Eisvogel< und die andere >Zu den Neun Wolken<. Es sei denn, Sie haben die Absicht, bei Verwandten oder einem Freund abzusteigen...«
    »Nein, ich bin fremd hier, nur auf der Durchreise. Ich sehe, Sie haben da ein Paar Krücken. Was ist mit Ihren Beinen?«
    »Das eine ist lahm, und das andere ist auch nicht besonders gut. Nichts, woran Sie etwas ändern könnten, Doktor! So, so, die Obrigkeit ist zur Stelle. Auf dem Posten wie immer! Das bedeutet, daß der Mann, den sie aus dem Fluß geholt haben, Ihre Hilfe nicht mehr brauchen wird, Doktor! Aber ansehen sollten wir uns das trotzdem mal.«
    Auf dem breiten Kai vor dem Fischmarkt, dicht beim Fährhaus, hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt. Über die Köpfe hinweg sah der Richter die aufrechte Gestalt eines Reiters. Der goldene, mit roten Federn geschmückte Helm und das rote Halstuch wiesen ihn als Hauptmann der Kaiserlichen Garde aus.
    Meister Kalebasse ergriff die Krücken, kletterte von seinem Esel und humpelte auf die Menge zu. Der Esel ließ ein Ohr hängen und begann, zwischen den runden Pflastersteinen nach Abfallresten zu suchen. Richter Di stieg von seinem Pferd und folgte dem alten Mönch, dem die Zuschauer Platz machten; sie schienen ihn gut zu kennen.
    »Es ist Tai Min, der Kassierer vom >Eisvogel<, Meister Kalebasse«, sagte ein großer Kerl mit leiser Stimme. »Mausetot ist der.«
    Zwei Gardisten in ihren langen Panzerhemden hielten die Menge zurück. Über die Schulter von Meister Kalebasse blickte Richter Di auf den Mann, der unmittelbar vor dem Pferd des Hauptmanns ausgestreckt auf dem Boden lag. Er zuckte unwillkürlich zusammen. Er hatte schon oft Tote gesehen, die einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen waren, aber diese Leiche bot einen besonders gräßlichen Anblick. Es war ein junger Mann, nur mit einer langärmeligen Jacke bekleidet, die an seinen ausgestreckten Armen klebte. Lange Strähnen nassen Haares klebten an seinem aufgedunsenen, schauerlich verzerrten Gesicht. Seine nackten Beine und Füße zeigten schwere Brandwunden; seine Hände waren zerfetzt. Sein Bauch war aufgeschlitzt, und die bleichen Gedärme hingen heraus. Neben der Leiche kniete ein Leutnant, dessen Rücken unter den goldenen gebogenen Schulterstücken sehr breit wirkte.
    »Da ist ein flaches
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