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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse
Autoren: Robert van Gulik
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immer, um einen neuen Blick für die Dinge zu bekommen...»
    »Es wäre besser, Sie erklärten mir Ihr Problem«, unterbrach ihn Richter Di trocken.
    Der Hauptmann stand auf und ging zu der großen Karte an der Wand. Von seinem Platz aus konnte der Richter erkennen, daß das Gebiet südlich des Flusses und ein detaillierter Plan von der Stadt darauf abgebildet waren. Im Osten befand sich ein weißes Quadrat, das in großen Buchstaben die Bezeichnung >Wasserpalast< trug. Mit einer weit ausholenden Armbewegung sagte Hauptmann Sju:
    »Der ganze Sonderbezirk steht unter der unmittelbaren Verwaltung des Palastes. Es ist Ihnen sicher bekannt, daß der Wasserpalast nun schon seit vier Jahren die Sommerresidenz der Dritten Prinzessin ist.«
    »Nein, das wußte ich nicht.« Aber Richter Di hatte von der Dritten Prinzessin gehört. Sie war des Kaisers Lieblingstochter, und es hieß, daß sie außerordentlich schön sei. Der Kaiser gewährte ihr jeden Wunsch, doch war sie anscheinend kein verwöhntes Schloßpüppchen, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern eine sehr intelligente, vernünftige junge Frau, die sich sehr für Kunst und Wissenschaften interessierte. Es waren verschiedene prominente junge Höflinge als künftige kaiserliche Schwiegersöhne im Gespräch gewesen, aber der Kaiser hatte die Entscheidung immer wieder verschoben. Die Prinzessin müßte jetzt ungefähr fünfundzwanzig sein, dachte der Richter. Hauptmann Sju fuhr fort:
    »Die höchsten Machtinhaber hier sind drei Beamte; zwei zivile und ein militärischer. Der Obereunuch ist für die Dritte Prinzessin, ihre Hofdamen und ihr gesamtes weibliches Gefolge verantwortlich. Dann haben wir den Oberaufseher des Palastes, der für das übrige Personal, insgesamt etwa tausend Personen, zuständig ist. Mein Chef, Oberst Kang, ist der Befehlshaber der Kaiserlichen Garde. Ihm obliegt die Sicherheit des Palastes und des ganzen übrigen Sonderbezirks. Er hat seine Amtsräume im Palast und ist mit seiner Arbeit dort vollauf beschäftigt. Aus diesem Grund hat er mir zweihundert Gardisten zugeteilt und mir die Verwaltung der Stadt und ihrer Umgebung übertragen. Es ist eine ruhige, ordentliche kleine Stadt, denn um zu verhindern, daß Epidemien auf den Palast übergreifen, sind keine Bordelle, keine Straßendirnen, keine Theater und keine Bettler erlaubt. Verbrechen sind selten, weil jede hier begangene Straftat als Hochverrat aufgefaßt und mit dem langsamen Tod< bestraft werden könnte. Und nicht einmal der abgebrühteste Kriminelle möchte das Risiko eingehen, langsam in Stücke geschnitten zu werden! Gewöhnliche Scharfrichter brauchen nur zwei oder drei Stunden für die Prozedur, aber die im Palast können ihr Opfer etliche Tage am Leben erhalten, wie ich höre.« Der Hauptmann rieb sich nachdenklich über die Nase und setzte dann hinzu: »Es sind natürlich die besten, die es gibt. Wie dem auch sei, die Folge ist, daß alle Räuber, Diebe und vagabundierenden Halsabschneider dieses Gebiet wie die Pest meiden!«
    »Dann ist Ihre Aufgabe doch einfach, Sju. Nur die routinemäßige Verwaltung.«
    Der Hauptmann setzte sich.
    »Nein«, sagte er düster, »da irren Sie sich. Gerade weil dieses Gebiet vor den kleineren Verbrechern sicher ist, ist es ein wahres Paradies für die großen! Nehmen wir einmal an, Sie wären ein reicher Gauner mit vielen persönlichen Feinden. Wo könnten Sie dann besser einen ruhigen Urlaub verbringen als hier? Kein Meuchelmörder würde es jemals wagen, Sie hier zu überfallen. Oder nehmen wir an, Sie wären der Kopf eines einflußreichen Schmugglerrings oder eines kriminellen Geheimbundes. In Ihrem eigenen Territorium müßten Sie Tag und Nacht vor den gedungenen Mördern rivalisierender Organisationen auf der Hut sein. Hier jedoch könnten Sie sich frei bewegen, ohne fürchten zu müssen, belästigt zu werden. Verstehen Sie mein Problem jetzt, Richter?«
    »Nicht so ganz. Da alle ankommenden Personen sich registrieren lassen müssen, warum schicken Sie die zwielichtigen Gestalten dann nicht einfach dahin zurück, woher sie kamen?«
    Der Hauptmann schüttelte den Kopf.
    »Erstens, Hunderte unserer Besucher sind anständige Leute, und die meisten auswärtigen Kaufleute betreiben hier rechtmäßige Geschäfte. Wir können unmöglich das Vorleben eines jeden einzelnen von ihnen überprüfen. Zweitens, ein beträchtlicher Teil des Einkommens der ansässigen Bevölkerung stammt aus diesem Reiseverkehr. Wenn wir gegen alle Reisenden scharf
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