Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
Vom Netzwerk:
Mädchen in einem unauffälligen perlgrauen Kleid auf. Neben ihr stand ein elegant aussehender junger Bursche, der die schwarze Kappe eines Scholaren trug. Unter dem Arm hielt er eine Mondgitarre in einer Brokathülle. Der Richter vermutete, daß dies das musikalische Paar war, das den Raum unter seinem belegt hatte. Er wandte sich an Hauptmann Sju, der zusammen mit seinem unerschütterlichen Leutnant zu Fuß zur Herberge vorausgeeilt war. »Räumen Sie die Halle!« befahl Richter Di. »Lassen Sie Ihre Männer drei Sessel holen und an die Rückwand stellen.«
    Der Richter selbst setzte sich auf den Stuhl in der Mitte und gab dem Oberaufseher und Oberst Kang ein Zeichen, die Plätze rechts und links von ihm einzunehmen. Dann sagte er zum Hauptmann: »Bringen Sie den Herbergswirt Wei Tscheng zu mir!«
    Zwei Gardisten führten den Wirt herein. Überrascht starrte er die drei hohen Beamten an. Die Soldaten drückten ihn auf die Knie hinunter.
    »Vor zwei Wochen«, informierte der Richter seine Begleiter, »meldete dieser Mann, daß seine Frau mit einem heimlichen Geliebten durchgebrannt sei.«
    Der Oberaufseher zupfte ärgerlich an seinem grauen Spitzbart.
    »Sind Sie ganz sicher, Exzellenz, daß diese schmutzige Geschichte eines einfachen Herbergswirtes uns tatsächlich etwas angeht, uns, die höchsten...»
    »Ganz sicher«, unterbrach Richter Di. Barsch wandte er sich l an Wei:
    »Sie sind ein Geizhals, Wei. Das ist an sich noch kein Verbrechen. Aber es kann zu einem Verbrechen führen. Und in Ihrem Fall führte es zu einem abscheulichen Mord. Sie können es nicht ertragen, sich von ihrem Geld zu trennen, Wei, noch | konnten Sie es ertragen, sich von Ihrer Frau zu trennen. Sie liebten sie nicht, aber sie war Ihr Eigentum, und Sie wollten nicht zulassen, daß Ihnen jemand Ihr Eigentum wegnahm. Sie glaubten, daß der Kassierer Tai Min ihr Augen machte.« Er wies auf den Lattenschirm. »Dort saßen Sie an Ihrem Schreibtisch, Wei, und behielten Ihre Frau und Ihren Kassierer scharf im Auge, und hier am Empfangstisch lauschten Sie heimlich ihren Gesprächen. Als Sie entdeckten, daß Tai Min auf der Karte, die dort in der Schublade aufbewahrt wurde, einen Weg markiert hatte, zogen Sie daraus den Schluß, daß er beabsichtigte, mit Ihrer Frau durchzubrennen. Ich glaube, Ihre Schlußfolgerung war falsch, aber das kann ich nicht beweisen, denn der Kassierer ist tot. Und Ihre Frau ebenfalls. Denn vor zwei Wochen haben Sie sie ermordet.«
    Der Herbergswirt hob sein hageres Gesicht. »Das ist nicht wahr!« rief er. »Das schändliche Ding hat mich verlassen, ich schwöre es! Sie...«
    »Machen Sie nicht noch mehr Fehler, Wei!« sagte der Richter scharf. »Zwei haben Sie bereits gemacht, und die genügen, um Sie aufs Schafott zu bringen. Sie werden geköpft werden, weil Sie Ihre Frau getötet haben ohne den geringsten Beweis, daß sie Ehebruch begangen hat. Der erste Fehler war, ständig an Ihrer Frau herumzunörgeln, sie gebe zuviel Geld für sich selbst aus, so daß sie häufig die Naschereien Ihres Kollegen in den >Neun Wolken< annahm. Gerade an dem Abend, als Sie sie ermordeten, hatte er ihr welche gegeben. Der zweite Fehler war, daß Sie nicht alle ihre Kleider vernichteten. Auch hier war es wieder Ihre Habgier, die den Fehler verursachte. Anstatt ihre Kleider zu verbrennen, behielten Sie sie, um sie an einen Pfandleiher zu verkaufen. Aber keine Frau, die wegläuft, wird einige ihrer schönsten Kleider zurücklassen, und ganz gewiß nicht ihre rote Lieblingsjacke, von der sie wußte, daß sie ihr so gut stand.« Der Richter erhob sich. »Meine Herren, ich werde Sie nun in das Lagerhaus hinter dieser Herberge führen. Hauptmann, lassen Sie den Angeklagten von Ihren Männern festnehmen, und folgen Sie mir mit dem Leutnant.«
    Richter Di ging durch das Büro des Wirtes und überquerte den Hof. Die Hühner in ihrem Auslauf begannen aufgeregt zu gackern, ganz erschreckt von den vielen Menschen in glänzender Tracht, die zwischen den dürren Bäumen und dem hohen Unkraut erschienen.
    Der Richter betrat das muffige Lagerhaus. Er schob ein paar zerbrochene Stühle aus dem Weg und ging zu dem Stapel Hanfsäcke, auf denen er sich am Abend zuvor ausgeruht hatte. Die Ameisen, die ihn belästigt hatten, waren immer noch da. Sie schwärmten reihenweise aus einer gesprungenen Fliese im Boden und marschierten in geordneter Formation über die Säcke, um in einem kleinen Loch in der Backsteinwand, wo ein Zementbrocken herausgefallen war, zu

Weitere Kostenlose Bücher