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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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und seine Muskeln zucken. Am liebsten hätte er irgendeine Routinesache, irgendwas Blödes, einfach was, das ihn beschäftigen würde, wie der Plastiklöffel, auf dem er gerade rumkaut, auch das eine schlechte Gewohnheit. Er hört auf zu kauen und steckt ihn in den Aschenbecher, zum Kaugummipapier. Er hasst es, mitternachts zu arbeiten; tagsüber sind Aufträge zu erledigen, dem Chef irgendwelche Gefälligkeiten zu erweisen. Er hätte nie gedacht, dass er das mal vermissen würde.
    Auf der anderen Straßenseite gleitet ein silberner Mercedes-Geländewagen zum Autoschalter der Webster Bank. Brooks merkt sich das Kennzeichen. Der Rest des Platzes ist leer, nichts als Parkplätze – weiße Linien und Ölflecke, die hohen Laternen brennen vergeblich.
    Heute ist es so weit, heute Nacht. Was bedeutet das, falls es überhaupt was bedeutet? Tragische Unfälle gibt es in jeder Jahreszeit, und wie kann man was rückgängig machen, das schon passiert ist? Darüber hat er sich immer mit Melissa gestritten. Jetzt, wo sie weg ist, übernimmt er beide Seiten und streitet sich allein. (Wir brauchen nichts zu tun, bloß dazusitzen und zuzuhören; Danielle sagt, das ist grausam, und schon bricht ein anderer Streit aus.)
    Brooks wünscht sich, ein Einsatzbefehl würde ihn am Nachdenken hindern, und kontrolliert den grünen Bildschirm, der Cursor färbt seine Hände, und sie sehen aus wie die von Frankenstein. Seine Hoffnung ist nicht ganz unberechtigt; es ist immer noch Cabbage Night, die Nacht der mit Seife beschmierten Fenster, der gegen die Scheiben geworfenen rohen Eier und der mit Toilettenpapier umwickelten Obstbäume, der kostenlosen Lieferung dampfender Hundescheiße und der bedeutendsten Sportart in Avon, Briefkastenbaseball. Bloß die Auswirkungen, mehr nicht, einer unserer Väter, in Pantoffeln und stinksauer, derBrooks fragt, was er dagegen unternehmen will – irgendein unglücklicher Steuerzahler, der gewöhnlich seine Sekretärin schikaniert. «Als Erstes muss ich Ihre Aussage aufnehmen», wird er dann sagen und die Jungs, die es getan haben, mir nichts, dir nichts ungeschoren davonkommen lassen, während das Blaulicht seines Streifenwagens über die Fassade des Hauses streicht und den Nachbarn signalisiert, dass alles unter Kontrolle ist. «Und Sie sagen, Sie haben keinen Wagen gesehen, bloß den Schlag auf den Briefkasten gehört, und das war’s?»
    Das ist dein großer Held. Denn es muss einen Helden geben, stimmt’s, jemanden, dem man die Daumen drückt? Tut uns Leid, er ist alles, was wir haben, er und Tim, aber Tim kann nicht der Held sein, stimmt’s? (Toe findet das, was Tim tun will, heldenhaft oder zumindest supercool, aber Toe ist natürlich durchgeknallt. Danielle findet es dumm, mehr will sie dazu nicht sagen; sie ist immer noch wütend auf ihn. Und ich – hi, ich bin Marco –, ich bin unschlüssig. Ich bin der Stille. Du wirst sehen, auf mich hört keiner.) Ich weiß nicht mal, ob wir versuchen werden, dir Kyle vorzuführen, er ist völlig hinüber. Du wirst sehen, Brooksie ist ein guter Kerl, ein bisschen kaputt nach dem Ganzen, aber wer ist das nicht? Es ist keine perfekte Welt. Es ist keine perfekte Geschichte, nur ein dummer Zufall, der uns getroffen hat. Natürlich kann man das Brooks nicht klar machen. Er ist ein Typ, der für alles einen Grund braucht, für ihn muss alles einen Sinn ergeben.
    Ein Einsatzbefehl, ein falscher Alarm, ein Brand, ein bellender Hund, ein Herzanfall, Unterstützung bei einer Fahrzeugkontrolle, ein Familienstreit, ein Dummejungenstreich, ein Herumtreiber, aber es kommt nichts rein, niemand kommt mit quietschenden Reifen auf der 44 zum Blockbuster gebraust. Zum Spaß tippt er mit zwei Fingern das Kennzeichen des Mercedes ein. Enter drücken, senden. Der Bildschirm wird schwarz, das verblasste Licht eingeschlossen in seinen Augäpfeln, dann leuchtet er wieder auf.
    Zugelassen auf einen Einheimischen: Ronald Seung, 25 Candlewood Terrace – es liegt nichts vor. Was hat er erwartet?
    Er weiß, dass er sich entspannen muss. Mitternachts muss man einfach die Zeit verstreichen lassen. Fünf Minuten nach Beginn des längsten Tages in seinem Leben (wahrlich, den wird er bis zu seinem Tod nicht vergessen) blickt Brooks ständig auf die Uhr. Er überlegt, die Augen zu schließen und ein Nickerchen zu machen – zehn Minuten, mehr will er gar nicht. Er musste früh aufstehen und das Haus verlassen, damit Charity, die Maklerin, es leer vorführen konnte, und jetzt holt der fehlende
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