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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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uns zuzukommen, breit wie ein Sattelschlepper. Schrei, wenn du willst. Du wirst schnell feststellen, dass es zwecklos ist. Du wirst dich an uns erinnern und daran denken,dich zu verabschieden. Du wirst so rührselig werden wie unsere Freunde und diese Nacht und diese Fahrt als unser Leben hinstellen: die fünf Unzertrennlichen. Also halt die Augen offen. Schlag nicht die Hände vors Gesicht, wenn wir von der Straße abkommen und durch das hohe Unkraut schießen (das vom Kühlergrill gesiebt wird wie Weizen von einer Dreschmaschine). Denk daran, was passiert, wie es klingt und riecht und schmeckt. Genieß die Fahrt.
    Hab ich dir’s nicht gesagt? Es gibt einen Grund, warum wir dich besuchen, warum diese Nacht immer wieder abläuft, ein Albtraum in einem Traum. Du hältst es für eine Qual, aber du weißt, dass es Gerechtigkeit ist. Du kennst den Grund. Du bist der Glückliche, weißt du noch? Du hast überlebt.

I ch weiß , was du getan hast
     
    In dem dunklen Wagen piept Brooks’ Armbanduhr mit der militärischen 2 4-Stunden -Anzeige, die er seit der Grundausbildung eingestellt hat, auch das eine starre Gewohnheit, und dann fängt sie wieder bei null an, wie ein unbeschriebenes Blatt. Mitternacht gibt’s nicht, nur ein digitales Piepen um 23 : 59 : 59 Uhr, das den vorigen Tag auslöscht, und Brooks sagt, dass es noch sieben Stunden dauert, bis er nach Hause fahren kann, wo niemand auf ihn wartet (bloß wir sitzen in seiner Küche oder huschen durch den Wald). Die Hunde bellen, obwohl in der Küche das Licht brennt (wir ärgern sie gern ein bisschen), aber da, wo Brooks wohnt, ist das kein Problem. Den ganzen Weg zur Haustür wird er hören, wie sie ihn auffordern wegzugehen, einfach wieder in den Pick-up zu steigen und loszufahren, und glaub bloß nicht, dass er noch nie daran gedacht hat. Wenn Gram nicht wäre, würde Brooks wohl weggehen – alles der Maklerin überlassen –, aber das ist vielleicht eine Lüge. Er hat ein Leben lang hier gewohnt, ist ein echter Einheimischer; er wüsste gar nicht, wo er hinsollte. (Er geht nirgends hin. Wir haben gesehen, wie er in Zeitlupe seine Pistole aufgehängt hat, vorsichtig wie in einem Horrorfilm, und nur Toe ist so verrückt, das Holster zum Schaukeln zu bringen, eine blöde Idee. Denk nicht so viel über uns nach, Brooksie.)
    Seine billige koreanische Armbanduhr piept zweimal, und jedes Mal, wenn er in der Stadt ist – wenn er an der im Schatten liegenden Laderampe des Stop’n’Shop vorbeifährt oder es sich leicht macht und auf dem Parkplatz von Battison’s irgendwelchen Familienvätern auflauert, die ihre Videos noch rechtzeitig zurückbringen wollen –, sieht Brooks die schnellste Strecke zu dem Baum vor sich wie ein Diagramm, der Stadtplan an der Wand in der Funkzentrale beleuchtet, die Old Farms Road, die von der Country Club Road abzweigt, und er kommt zu spät, jedes Mal kommt er zu spät.
    Ihm braucht niemand zu sagen, dass sich der Todestag jährt. Er durchlebt ihn jede Nacht –
piep-piep –,
und schon seit Mitte September fürchtet er sich davor und beobachtet, wie die Blätter fallen, wie der Wind sie raschelnd über die Straßen treibt und im Schutz seines Pick-ups aufhäuft, wie kreiselnde Ahornsamen seine Scheibenwischer bedecken. An den Wochenenden lässt er die Dusche zum Wachwerden ausfallen und harkt Blätter, bis er ins Schwitzen kommt und ihm schwindlig wird. Er weiß, dass er den Herbst, die schmerzhaft klaren Tage, den Raureif auf dem Gras nicht aufhalten kann; das liegt an der Rotation der Erde, ihrer unsinnigen Drehung um die Sonne – jeglicher Kontrolle entzogen, unaufhaltsam. Er hat Glück gehabt, dass auf dem Revier keine geschmacklosen Witze gerissen, keine Pappskelette mit dünnflüssigem Vampirblut bespritzt und in seinen Spind gesteckt wurden (vielleicht kommt das noch, vielleicht heckt Ravitch an seinem Pult gerade was aus und überlegt, wie weit er gehen kann; es ist die richtige Nacht für fingierte Anrufe).
    Heute Nacht ist es Battison’s, in unerschütterlicher Treue, mit eingeschaltetem Radar, sein Streifenwagen von dem künstlich angelegten Hügel verdeckt, hinter ihm die dunkle Reinigung mit dem still stehenden Karussell voller Plastikkleiderhüllen – steife Smokings und Abendkleider für den Herbstball. Die Filme von letztem Freitag müssen zurückgebracht werden. Brooks wartet imDunkeln, das kleine rote Licht huscht auf der Suche nach Stimmen über die Funkanzeige. Er hat zu viel Zucker in seinen Kaffee gerührt,
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