Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
Vom Netzwerk:
sich hinhockte und die Blätter von den verwelktenBlumen und den durchnässten Teddybären streifte, würden wir über ihn herfallen wie Vampire; am nächsten Morgen würde man seinen Wagen ohne Benzin dort finden, die Tür offen, die Zündung noch eingeschaltet. Also lässt er es bleiben. Stattdessen schaltet er die beiden abnehmbaren Blaulichter ein, zwei grelle Leuchten auf dem Dach, die dazu dienen, dass er bei einer Fahrzeugkontrolle heimlich einen Blick in den Wagen werfen kann (Fahrer, die nach einer Dose Bier oder einer Flasche greifen, die versuchen, mit genauso betrunkenen Beifahrern den Platz zu tauschen), und schlagartig weicht die Nacht zurück, Bäume hinter Bäumen, richtig
Blair - Witch -mäßig
.
    Das Licht spielt ihm einen Streich, zeigt ihm Bewegung, wo gar keine ist, ein plötzliches Huschen im Dunkeln, das in Wirklichkeit auf der feuchten Oberfläche seines Auges stattfindet. Es ist nicht Kyle, der zwischen den Bäumen herumirrt, aber einen Augenblick lang verschmilzt die Erinnerung mit dem Trugbild und täuscht Brooks, und er sieht, wie der Junge ächzend im Wald rumtaumelt, außerstande, etwas zu sagen, sein Gesicht eine zertrümmerte Maske.
    Denn heute Nacht ist Brooks auf alles gefasst – nervös, könnte man sagen. Er wäre nicht überrascht, wenn er uns alle blutüberströmt dastehen sähe, oder bloß Danielle, die mit dem Gesicht im Gras liegt. An Danielle kann er sich besser erinnern als an uns (wir sind nicht eifersüchtig, das ist bloß eine Tatsache). Er hat mehr Zeit mit ihr verbracht, sie fotografiert, alles ausgemessen. Sie war das Rätsel, das physikalische Problem, das er lösen musste, hier ist die Leiche, da der Wagen. Wir saßen da wie Puppen, die unters Armaturenbrett gerutscht waren, langweilig, das hatte er schon oft gesehen, aber Danielle lag draußen, mit dem Rücken zum Wagen, als wollte sie flüchten. Kyle war Furcht erregend, denn er war noch am Leben; Danielle war interessant, ein Untersuchungsgegenstand. Im Laufe des letzten Jahres hat Brooks versucht zu begreifen, wie er zu einem Menschen werdenkonnte, der so denkt, aber es ist unverkennbar: Er hat es getan – er tut es noch. Melissa hat Recht.
    «232», meldet sich Ravitch. Das ist Brooks’ Nummer, aber er reagiert nicht. Die Blaulichter erinnern ihn an später in jener Nacht, als er Tim aufs Revier gebracht hatte und die Feuerwehr ihre Scheinwerfer aufstellte, damit man den Unfallort absuchen konnte. Mit der Spitze eines Bleistifts hatte er gerade eine Dose Budweiser aufgehoben (nicht von uns), als er etwas sah, das er für ein Schmuckstück hielt, verborgen unter einem Blatt, ein goldenes Flimmern.
    (Halt die Klappe, Marco, sagt Danielle. Du bist so gemein. Ich kann nicht glauben, dass du das erzählen willst.
    Ich wollte bloß sagen, dass es ein Ohrring war.
    Quatsch, sagt Danielle und boxt mich fest auf den Arm. Dabei versuche ich, es nett zu erzählen.)
    «232, hier spricht die Zentrale.»
    Brooks weiß noch, dass er sich bückte, um zu sehen, was es war, vorsichtig, um die Blätter nicht durcheinander zu bringen. Ein baumelnder Ohrring, wie Melissa sie mochte, durchsichtige lila Perlen an dünnem Golddraht. Er winkte Saintangelo rüber, damit er ein Foto davon machte. Das Blitzlicht färbte ihre Beine silbern – zwei-, dreimal –, dann ging Saintangelo zurück, um sich wieder mit uns zu beschäftigen.
    «232, bitte melden.»
    Brooks ließ sein Maßband ablaufen, fand heraus, wie weit der Ohrring vom Wagen entfernt war, wie weit von Danielle, und notierte die Zahlen auf seinem Klemmbrett, ein weiterer Anhaltspunkt. In Gedanken zeichnete er Dreiecke auf, verband die Punkte miteinander und verwandelte uns in ein Rätsel, mit dem er sich am Wochenende vor seinem Computer beschäftigen konnte. Als er sicher war, alles dokumentiert zu haben, kniete er sich mit einem durchsichtigen Umschlag und einer Pinzette hin und legte den Ohrring behutsam frei. Er war noch befestigt.
    (Ich kann’s nicht glauben, Marco. Du bist so ein Arsch.)
    Sein erster Gedanke – und wer weiß, warum er das Melissa erzählt hat – war, dass er schon Schlimmeres gesehen hatte.
    «232, 232.»
    Brooks lässt sich Zeit, bevor er den Knopf drückt. «Hier 232, was ist los?»
    «Wo, zum Kuckuck, bist du gewesen?», fragt Ravitch, will es aber eigentlich gar nicht wissen. «Hör mal, kannst du ein 10 - 65 in Riverdale übernehmen? Stones and Sterling.»
    Ein Alarm, nicht weit weg. (Riverdale Farms ist ein malerischer kleiner Einkaufsort aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher