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HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi

HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi

Titel: HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi
Autoren: Andreas Schmidt
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darüber nachdachte, was Julia Wilms ihm wohl erzählen wollte. Es schien etwas zu sein, das sie sehr mitnahm, und dennoch war es ihr ein Bedürfnis gewesen, sich ihm anzuvertrauen. Wahrscheinlich, so vermutete Udo kauend, würde er gleich ihre Version vom Verhältnis mit Rudolf Manderscheid hören. Ihm war alles recht. Sechzehn Minuten, nachdem er das Telefonat mit Julia Wilms beendet hatte, stand er vor ihrer Haustür. Gerade in dem Moment, als er klingeln wollte, wurde ihm die Tür geöffnet.
    Sie war blass und schien seit ihrem letzten Treffen um Jahre gealtert zu sein. Dunkle Ringe, die auch das Make-up nicht verbergen konnten, lagen unter ihren Augen. „Kommen Sie herein.“
    Udo folgte der Aufforderung, und sie gingen in die Küche. „Also“, sagte er mit einem sanften Lächeln. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
    „Indem Sie mich verhaften.“ Sie legte die Hände auf den Tisch und faltete sie wie zum stillen Gebet.
    „Wie bitte?“
    „Ich möchte, dass Sie mich verhaften, weil ich Rudolf Manderscheid getötet habe.“
    „Warum erzählen Sie mir so einen Unsinn?“ Udo fühlte sich verschaukelt.
    „Er war ein widerliches Schwein, hat mich bedrängt und zum Sex gezwungen.“
    „Aber Ihr Vater …“, wollte Udo einwerfen, doch sie winkte ab.
    „Er kennt nicht die ganze Geschichte, das sagte ich bereits.“
    „Dann erzählen Sie mir die Geschichte.“
    „Manderscheid hat mich unter Druck gesetzt, er hat mich erpresst. Deshalb habe ich dem Sex zugestimmt. Ich habe es über mich ergehen lassen, jedes Mal die Sekunden und die Minuten gezählt und immer gehofft, dass er bald fertig ist.“
    „Also war es doch eine Vergewaltigung.“
    „Im Sinne des Gesetzes vielleicht schon – wenn man die äußeren Umstände, die zu der Tat geführt haben, einbezieht. Dann wurde ich schwanger, aber auch das wissen Sie bereits. Manderscheid zahlte mir eine Abfindung, kaufte mir dieses Haus hier, er zahlte die Abtreibung, zu der er mich gezwungen hat. Und er sagte immer wieder, dass er mich kalt macht, sobald ich mich irgendjemandem anvertraue.“
    „Aber Sie haben es Ihrem Vater erzählt.“
    „Natürlich. Meine Eltern kennen mich, und sie wussten, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein musste.“ Nun erhellte der Ansatz eines Lächelns ihr Gesicht. „Seinen Eltern macht man doch nichts vor. Sind Sie selber Vater?“
    „Nein“, sagte Udo schnell, weil ihm das Thema unangenehm war. „Aber ich war selber mal Kind und weiß, wovon Sie reden.“
    „Gut. Also habe ich mich meinen Eltern anvertraut. Mutter hat nächtelang geweint. Sie hat einen seelischen Schaden erlitten damals, ist zu einer introvertierten Frau geworden; manche sagen, sie sei wunderlich, aber sie ist einfach nur sehr ängstlich und misstrauisch. Vater war kaum zu bändigen, er wollte Manderscheid am liebsten sofort zur Rede stellen. Und er hätte ihn am liebsten ermordet.“
    „Hat er ihn getötet?“ Udo begann zu begreifen. Bei dem Mord an Rudolf Manderscheid handelte es sich nicht um eine Tat, die ihn zum Schweigen bringen sollte, weil er Stimmung gegen den Hahn gemacht hatte: Manderscheid war aus Rache gestorben.
    „Nein“, sagte Julia Wilms mit leiser und dennoch fester Stimme. „Ich war es.“
    „Wie bitte?“
    „Ich habe Rudolf Manderscheid erschossen, weil ich nicht mehr unter dem Druck, den er mir gegenüber ausübte, leben konnte. Eines Tages lockte ich ihn unter einem Vorwand zum Rauschkümpel. Das ist eine Art Wasserfall. Der Ahringsbach fließt in kleinen Arkaden ins Tal, der Ort liegt wunderschön und mitten im Wald. Sehr einsam, und doch sehr romantisch. So gab ich vor, mich mit ihm treffen zu wollen. Habe etwas von Sehnsucht gesagt, glaube ich. Lange musste ich nicht reden, bis er sich unter einem Vorwand aus dem Haus schlich und seine frisch angetraute Ehefrau Beatrice zurückließ. Als er das Haus verließ, ahnte er nicht, dass er nicht mehr zurückkehren würde. An einem sonnigen Samstagnachmittag erwartete ich ihn also auf der Brücke des Rauschkümpels. Er kam völlig atemlos und durchgeschwitzt dort an, der alte geile Bock. Ich könnte schwören, dass er sich durch den Fußmarsch so verausgabt hat, dass er keinen mehr hochgekriegt hätte. Aus seiner Sicht war das wohl sehr ernüchternd. Ein Mann, der plötzlich feststellt, dass er es einer Frau nicht mehr besorgen kann, weil er alt wird. Weil er völlig am Ende seiner Kräfte ist, als er den Ort erreicht, an dem das Rendezvous stattfinden soll. Er war schlecht
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