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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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hatte er sie nicht mehr in die Hand genommen, nicht einmal, um sie einzufetten. In der Trommel steckten noch drei Geschosse. Masino hatte einmal gesagt, sollte jemand irgendwann die Pistole auf ihn richten, wäre es besser, gleich und ohne lange zu zögern abzudrücken, andernfalls würde der Feind sie ihm mir nichts, dir nichts ins Maul stopfen und schlucken lassen. Er legte die Waffe an ihren Platz zurück, schloß die Schublade, ging zur Tür. Bevor er hinausging, hielt er einen Augenblick inne und machte kehrt. Er würde die Pistole bestimmt nicht zücken, da bestand keine Gefahr: Doch wenn er sie mitnahm, würde er sich vielleicht besser fühlen.

    »Hinz und Kunz hat er sie gezeigt, dieses Verräterblut! Jedem Idioten!«
    »Beruhige dich, Giovannino.«
      »Ticktack hatte recht – und ich dachte noch, er sei wahnsinnig –, Vito gehört zu den Leuten, denen man sofort den Kopf zerquetschen muß wie den Schlangen, gleich auf der Stelle, und nicht abwarten und hoffen, daß sie zur Einsicht kommen!«
    »Ist ja gut, Giovannino, setz dich hin und warte ab.«
      »Was abwarten? Daß er, nachdem er seinen Auftritt hatte und die Karte in der Weltgeschichte herumgezeigt hat, sie auf dem Postweg an Corbo schickt? Oder sie ihm sogar persönlich bringt? Wir haben ihm längst das Gefühl gegeben, daß er zu allem fähig ist und wir zu nichts.«
    »Jetzt übertreib mal nicht. Don Pietro …«
      »Ich pfeif auf Don Pietro. Mit den Beziehungen, die er hat, kann er hinterher immer erzählen, was er will.«
      »Moment mal, jetzt mal nicht danebenpinkeln. Haben wir uns verstanden?« sagte der jüngere Mann mit leiser Stimme.
    Giovannino setzte sich die coppola wieder auf – es war immer ein Sturmzeichen, wenn er sie abnahm –, schüttelte den Leib wie ein Hund nach einem Regenguß und wirkte gefaßter. »Darf man wissen, warum du Don Pietro nichts davon sagst?« fragte er.
      »Weil er gerade sein Viertelstündchen Verdauungsschlaf hält und ausgeruht sein will, wenn der Heilige vorbeizieht. Ich wecke ihn nicht einmal auf Befehl des Kaisers von China. Sobald er die Augen aufschlägt, reden wir mit ihm.«
      Giovannino zog ungeschlacht einen Stuhl heran und setzte sich.
      »Jetzt, da du dich beruhigt hast, erzählst du mir die ganze Geschichte genauer?« bat der junge Mann.
      »Was soll ich dir noch erzählen? Wir waren alle am Ende des Prozessionszugs, als der Heilige unter Vitos Balkon haltmachte. Seelenruhig hat er auf die Straße hinuntergeschaut, die Postkarte aus der Tasche gezogen und die Augen darauf geheftet. Mit der Karte in der Hand hat er sich ans Geländer gelehnt und seinen Blick von einem zum anderen schweifen lassen! Er hat uns alle aufs Korn genommen, begreifst du das?«
    »Und du?«
      »Du Ungläubiger, wenn ich eine Pistole gehabt hätte, hätte ich auf ihn geschossen!«
      »Dann hättest du einen schönen Scheiß gemacht«, ertönte Don Pietros Stimme hinter seinem Rücken.
    Giovannino sprang wie vom Blitz getroffen auf.
      »Es sei denn, du hättest hinterher auch dich erschossen«, fuhr Don Pietro fort, wobei er dem jungen Mann ein Zeichen gab und auf die Milchflasche deutete, die auf der Anrichte stand. »Denn wenn das eine Ansichtskarte von seinem Vetter, seinem Opa, weiß der Geier von wem war, was hättest du dann gemacht?«
    »Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, als er uns
    anstarrte«, erdreistete sich Giovannino zu sagen, »dann hättet Ihr gewußt, ob das die Karte von seinem Großvater war oder nicht.«
      »Wieso, gehst du etwa nach dem Gesicht der Leute? Erzähl mir doch keinen Quatsch!«
      Don Pietro kostete die Milch und zog eine Grimasse. Für seine Begriffe war sie viel zu warm, und er beklagte sich bei dem jungen Mann, daß es im Sommer ein wahres Problem sei, denn wenn man Eiswürfel in die Milch gab oder sie in den Kühlschrank stellte, verlor sie auf jeden Fall an Geschmack.
    Der junge Mann und Giovannino taten keinen Mucks.
      »Du kennst immer nur die halbe Wahrheit«, fuhr Don Pietro nach einer Weile fort, »denn du bist und bleibst nun einmal eine halbe Portion, daran ist nicht zu rütteln. Und an wem willst du nun deinen Ärger auslassen? Wärst du ein ganzer Kerl, hättest auch du das Recht, die ganze Wahrheit zu erfahren …«
    »Aber diese Postkarte …«
      »Die bedeutet, daß Vito sich noch eine Weile an ihr ergötzen will. Willst du etwa einem Schwerkranken das Recht streitig machen, in den letzten Augenblicken seines Lebens zu
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