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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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immer auf den größeren Häuflein. In Reichweite seiner Füße lag, halb hinter einem Hirsebusch versteckt, der Ermordete – seine Beine steckten in einem über der Hüfte zugeschnürten Sack, seine Hände waren mit einer dünnen Schnur auf dem Rücken zusammengebunden – und verpestete die Luft. Ein Paar abgewetzte Schuhe – die Schuhe des Toten – stand fein säuberlich auf seiner Brust.
      Zwei Stunden zuvor war der Bauer völlig aufgeregt – ein wenig zu aufgeregt für Corbos Begriffe, der in solchen Dingen ein fast untrügliches Gespür hatte – in die Polizeikaserne gestürzt, um zu berichten, daß er auf einem Pfad am Rand seines Feldes einen Toten gefunden hatte. Jetzt standen sie da und warteten auf den Herrn Amtsrichter, der sich wie üblich ausreichend Zeit ließ.
      »Hoffen wir, daß er noch vor dem Wolkenbruch eintrifft«, dachte Corbo, während er den Atem anhielt und sich mit dem Taschentuch den Schweiß vom Hals trocknete. Es war für den Augenblick schon alles aus dem Bauern herausgeholt worden, was herauszuholen war: Jetzt mußte man sich mit Geduld rüsten und ihn so lange mit denselben Fragen löchern, bis sie in seinen Holzschädel gingen.
      »Ich möchte nur wissen«, legte Corbo, um seiner Pflicht nachzukommen, erneut los, »wie lange du darüber geschlafen hast.«
      »Kaum hatte ich ihn entdeckt, bin ich zu Ihnen gerannt«, erwiderte der Bauer.
      »Auf den wurde vor mindestens drei Tagen geschossen«, sagte Corbo, »oder ist dir die Nase abgefallen?«
      »Und ich bin seit drei Tagen nicht mehr hier vorbeigekommen.«
    Schweigen in der Runde. Dann ergriff der Bauer erneut das Wort und meinte, ohne sich an jemand Bestimmten zu wenden: »Das weiß nur der Allmächtige, wo sie ihn umgebracht haben. Und dann haben sie mir dieses schöne Geschenk gemacht und ihn hierhergeschafft.«
      »Die werden ihn in den Sack gesteckt haben, um ihn besser tragen zu können«, mischte sich Tognin ein. Die Neugier ließ ihm jedoch keine Ruhe: »Aber warum diese Schuhe?«
      Der Maresciallo Corbo blieb ihm die Antwort schuldig. Der Bauer aber wollte sich dem Fremden gegenüber – Carabiniere hin oder her – freundlich zeigen.
    »Der wollte abhauen«, erklärte er.
      Und obwohl er sich darum bemühte, konnte er einen Anflug von Verachtung in der Stimme nicht unterdrücken.

    Er hatte es gerade noch geschafft. Ein heftiger, kurzer Septemberregen war niedergegangen und hatte dennoch nicht die Hitze aus den Häusern vertrieben; im Gegenteil, jetzt drang sie noch unerträglicher und gut sichtbar als Dampf aus den Mauern. Als Vito aus dem Kino kam, spürte er, wie seine Kopfschmerzen langsam nachließen.
      Es war eine regelrechte Tortur für ihn gewesen – dieser eklige Hitzekessel, in dem sich die Gerüche der Zuschauer ballten. Schließlich hatte ihn der Film, der ihm gleich bei den ersten Szenen äußerst fad vorgekommen war, doch noch eingelullt, und er hatte ihn über sich ergehen lassen.
    »Gute Nacht, Vito.«
    Der Gruß des Doktors Scimeni, der seine zwanzigjährige
    Tochter Carmela am Arm führte, überraschte ihn, und erst mit Verspätung grüßte er zurück, wobei er sich gleichzeitig entschuldigte. Er machte sich neben den beiden auf den Weg, war sich aber unsicher, ob er nach Hause oder auf einen Sprung zu Masino ins Café gehen sollte. An der Straßenecke hielt er immer noch unentschlossen inne und fuhr mit der Hand in die Tasche, um die Zigaretten herauszuholen. Vergeblich. Er mußte das Päckchen im Kino vergessen haben. Ja genau, jetzt erinnerte er sich, es irgendwann neben sich auf den freien Sitz gelegt zu haben. Doch umzukehren hatte keinen Sinn. Mittlerweile war hundertprozentig schon einer dagewesen, der sich nun an diesem Geschenk des Himmels gütlich tat. Er sah auf die Uhr, es war kurz nach Mitternacht.
    Für die Jahreszeit war es noch nicht zu spät, doch die
    Straßen waren wie ausgestorben. Einige vage Lebenszeichen waren auf den Balkons zu sehen, wo so mancher verweilte, der sich noch nicht dazu aufraffen konnte, für den Rest der Nacht in einem stickigen Zimmer zu schmoren.
      Er stieß auf die Flanierstraße, den Corso, überholte Doktor Scimeni und die Tochter, die wegen ihres von der Kinderlähmung steifen rechten Beins einen leichten Krebsgang hatte, und ging auf das noch erleuchtete Schild von Masinos Café zu.
    »Hör mal, Vito.«
      Er hielt im Gehen inne und sah, daß der Doktor Carmela stehengelassen hatte und jetzt auf ihn
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