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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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genießen, wonach ihm der Sinn steht? Du bist nicht gerecht, Giovannino, einfach ungerecht bist du.«
    »Aber ich wußte nicht …«, begann Giovannino stotternd.
      »Eben. Du kanntest die andere Hälfte der Wahrheit nicht«, beendete Don Pietro das Gespräch.

    Der weiße Mergelhügel, der gleich hinterm Dorf steil zum Meer abfiel, hieß »Türkentreppe«, denn in früheren Jahrhunderten sollen die sarazenischen Piraten dort haltgemacht haben, um eine günstige Brise für ihre Raubzüge abzupassen: Noch heute treten zwischen den Furchen des Mergels ab und an Eisenstücke, Nägel und rostzerfressene Schrotkugeln zutage – Überreste längst vergangener Schlachten.
      »Ich muß dich unter vier Augen sprechen«, hatte Vito gesagt, als er ins Café geeilt kam.
      Ohne nähere Erklärungen zu verlangen, hatte Masino dem Oberkellner das Zeichen gegeben, er solle seinen Platz hinter der Kasse einnehmen.
    »Wohin gehen wir?«
    »Entscheide du.«
      »Besser raus aus dem Dorf. Wegen des Fests herrscht heute ein Höllendurcheinander.«
      Sie waren in Masinos Cinquecento geklettert und schweigend ein Stück rausgefahren. Jetzt saßen sie auf einer großen Treppe auf halber Höhe des Hügels. Unter ihnen lag das Meer, grüngeädert und sehr tief.
    »Ich höre«, forderte Masino ihn auf.
      »Der Grund für all das, was mir seit zwei Tagen widerfährt, befindet sich hier drin«, legte Vito los, »in meiner Jackentasche.«
      Der Zahnstocher, den Masino von einem Mundwinkel zum anderen wandern ließ, hielt inne.
      »Und das Schöne ist«, fuhr Vito fort, »daß ich nicht weiß, wie ich da am besten wieder herauskomme.«
    Masino sagte noch immer nichts.
    »Das Schwierigste kommt jetzt. Und du mußt mir helfen.«
      »Dafür bin ich doch hier, oder nicht?« entgegnete Masino schließlich leicht ungeduldig. »Red weiter.«
    »Sie suchen eine Karte, eine Postkarte, die ich auf meinem Land gefunden habe. Die hat jemand verloren, als sie Mirabile ermordet haben. Sie ist ein Beweisstück.«
      »Woher willst du wissen, daß sie Mirabile auf deinem Grundstück ermordet haben?«
      »Ich bin mir dessen nicht sicher. Doch es reicht ja wohl, wenn die Carabinieri kommen und sich den Boden anschauen und die Blutflecken untersuchen …«
      »Es hat geregnet«, fuhr Masino dazwischen, »an den Tagen hat es geregnet. Und die Postkarte kann auch der Wind zu dir getragen haben. Oder besser noch, machen wir es so, gib sie mir einfach.«
      Ohne länger nachzudenken, kramte Vito sie aus der Tasche und reichte sie ihm. Masino nahm sie, warf nicht einen Blick darauf und begann, sie zu zerreißen. Dann öffnete er die Hände, so daß die Pappschnipsel ins Meer flatterten.
      Erst jetzt sah er Vito an. Ein blitzschneller Blick wie ein Gewehrschuß aus dem Hinterhalt.
      »So«, sagte er. »Die Geschichte ist zu Ende. Der Wind hat sich die Postkarte wiedergeholt und ins Wasser getragen.«
      Mit einem Schlag wirkte er erschöpft, atmete schwer und lehnte sich mit den Schultern an die Treppe, die Augen hatte er geschlossen. Vito begann zu zittern und zu schwanken, er sah aus wie ein Baum im Sturm.
      »Du mußtest die Karte gar nicht erst lesen, um zu wissen, was auf ihr geschrieben stand, nicht wahr?« fragte er fast tonlos.
    Immer noch mit geschlossenen Augen bejahte Masino seine Frage. Mit dem letzten, kläglichen Rest von Atemluft aus dem hintersten Winkel seiner Lungen und in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten, die anders als die wäre, mit der er rechnete, fand Vito die Kraft, noch eine Frage zu stellen: »Wer hat etwas mit Carmela Scimeni?«
      »Ich«, sagte Masino und erhob sich. »Mirabile war einer, der gegen die Regeln verstoßen hat. Es gelang ihm so lange unterzutauchen, bis wir ihn in deinem Weinberg geschnappt haben. Der unglückliche Zufall wollte es, daß dort die Postkarte verlorenging. Und daß du sie fandest. Ich habe den Leichnam dieses großen Hornochsen weit weg schaffen lassen, um dir Ärger zu ersparen. Und jetzt kehren wir, du und ich, ins Dorf zurück und genießen das Fest. Vergiß die Postkarte, vergiß einfach alles. Denk dir, daß alles wie eine Krankheit gewesen ist: Sie hätte dich beinahe dein Leben gekostet, bis vor zehn Minuten noch. Dann ist mit einem Schlag das Fieber gesunken, und jetzt fühlst du dich besser denn je. Ich übernehme es, allen die gute Nachricht von deiner Genesung zu überbringen. Laß uns gehen, Vitù, zeigen wir uns als Freunde, wie immer.«
      »Du,
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