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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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Bewachung von wer weiß was zurückgelassen worden war, bahnte sich, kaum hatte sie Freigang, einen Weg durch den Prozessionszug. Beim Anblick eines Heiligen von derselben Hautfarbe wie der ihren drehten die Schwarzen auf der Stelle durch. Drei von ihnen zogen das Maschinengewehr und sprangen wild in die Luft schießend vor den geistlichen Würdenträgern herum, einer blies Trompete, als wäre er Armstrong, vier oder fünf andere schlugen die Trommeln, und die übrigen gaben tanzend und singend eine Vorstellung, nachdem sie die Bänder mit Dollars vollgesteckt hatten. Zu guter Letzt baten sie darum, auch einmal die Heiligentrage schultern zu dürfen. Die Hafenarbeiter ließen sich nicht lange bitten, wohl auch deshalb, weil ihr Kummer darüber, den Heiligen ein Weilchen aus den Händen geben zu müssen, prompt mit klingender Münze aus den Staaten entschädigt wurde. Als die zeitweilig von ihrer Last befreiten Träger sich mit Hochrufen um den Monsignore scharten, entdeckte der voller Entsetzen, daß alle ausnahmslos das Abzeichen der kommunistischen Partei auf dem grauen Arbeitshemd trugen. Dann kam der Höhepunkt des Skandals. Als Seine Exzellenz bei Sonnenuntergang vor dem Kirchenportal wartete, um zur feierlichen Abendmesse wieder in das Haus Gottes einzukehren, sah er voller Staunen, wie die Prozession plötzlich rückwärts ging und hinter einer Ecke verschwand. Der Gemeindepfaffe, der im Laufe jenes Nachmittags unter den Augen Seiner Exzellenz sichtlich gealtert war, versuchte zu erklären, daß dem Heiligen offenbar nicht der Sinn danach stand, in die Kirche zurückzukehren: Da er das ganze Jahr über nur einmal an die frische Luft kam, hatte er jetzt Lust, noch eine kleine Runde auf der Mole zu drehen. Im übrigen sei dies keine Tradition, um Gottes willen, nein!, doch ab und an konnte es schon vorkommen. Vollkommen entgeistert begann Seine Exzellenz, nach den Carabinieri zu rufen, die den Heiligen unter Aufbietung aller Mittel am Ende überzeugen konnten, sich wieder in die Kirche zu verziehen. Am folgenden Tag verkündete Seine Exzellenz, daß die Kommunisten von nun an nicht mehr die Heiligenstatue tragen dürften, das Brot nicht mehr aus den Fenstern geworfen und die pekuniären Weihgaben besser persönlich dem Pfarrer ausgehändigt werden sollten, und wenn jemand ein einziges Mal wagte, San Calogero noch mal einen Schluck Wein zu trinken zu geben, würde er das gesamte Dorf exkommunizieren. So nahm der langwährende Krieg zwischen den Anhängern San Calogeros und Seiner Exzellenz Monsignore Rufino seinen Anfang. Selbst als dieser nach einiger Zeit seine Ansichten über Sitten und Bräuche der Sizilianer änderte und aller Welt verkündete, die Mafia sei eine gehässige Erfindung der Zeitungen aus dem Norden, beharrte er doch auf seiner Meinung, daß ein echter Heiliger Zielscheibe heidnischer Bräuche geworden sei. Es kam jedoch zu einer Einigung: Der Heilige wurde, bevor man ihn die Treppenstufen hinunterdonnern ließ, von den Pfaffen zu einem gewöhnlichen Sterblichen deklassiert. Sie nahmen ihm zu diesem Zweck den Heiligenschein vom Haupt und geleiteten ihn nicht durchs Dorf. Die offizielle, vom Bischof anerkannte Prozession fand abends statt, wenn dem Heiligen, sobald er von den letzten Runden auf der Mole zurück war, der Heiligenschein wieder auf den Kopf gesetzt wurde. Das Volk aber behauptete, die ordentlich abgehaltene Abendprozession, die nur aus ein paar Greisen und gesitteten Damen bestand, öde San Calogero derart an, daß ihm die Tränen kamen.

    So lange es geht, muß alles so laufen, als wäre absolut nichts passiert, nahm sich Vito noch einmal fest vor, während er den Schrank aufmachte, um den schwarzen Festanzug herauszuholen.
    Wenn er sich mit seiner Alltagskleidung am Fenster zeigte, um den vorbeiziehenden Heiligen zu sehen, hätten die Leute Grund gehabt, schlecht über ihn zu reden, und behaupten können, daß er für gewisse Dinge einfach keinen Kopf mehr hatte und an anderes dachte. Der Anzug hätte das Bügeleisen gut vertragen können, doch er sparte sich die Mühe. Das letzte Mal hatte er ihn vor fünf Tagen bei der Hochzeit von Vincenzino Mannarà getragen, und mit einem Schlag war ihm, als wären seitdem hundert Jahre vergangen – er war nicht umhin gekommen, denn beim Empfang im Café von Masino war das gesamte Dorf zugegen gewesen, angefangen beim Bürgermeister und dem Doktor Scimeni bis hin zu drei oder vier Hafenarbeitern, denn Vincenzino, der aus der wohlhabendsten
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