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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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Familie des Ortes stammte, legte großen Wert darauf, als Demokrat zu gelten.
      Während er mit dem Anziehen beschäftigt war, gelang es ihm für einen Moment, die Sache, die ihm da widerfuhr, aus dem Kopf zu verbannen. Mit einemmal konnte er tief durchatmen: Er spürte, wie sich seine Lungen weiteten, und er tat einen langen, tiefen Zug, wie hin und wieder am frühen Morgen auf dem Land: Schon im Haus von Peppi monacu war ihm aufgefallen, daß sich eine Art friedliche Gleichgültigkeit in ihm breitmachte.
      Es heißt, man fühle sich wenige Minuten vor seinem Ende so, dachte er, oder vielleicht haben die Araber recht, wenn sie sagen, daß man sich fügen muß, wenn das Schicksal es so will.
    Als er sich in Unterhose und Unterhemd im Spiegel sah,
    verspürte er das Bedürfnis, sich selbst gegenüber noch ehrlicher zu sein, und ihm kam ein dritter Gedanke, den er vorerst verdrängt hatte: daß nämlich auch die Angst genau wie der Schmerz eine Grenze kennt, die nicht überschritten werden kann, und aus diesem Grund auch Feiglinge manchmal todesmutig werden.
      Er zog sich gerade das Jackett über, als er ein Kratzen an der Wohnungstür vernahm und mit gespitzten Ohren innehielt. Da war es wieder, dieses Geräusch, ein sachtes Klopfen, daran war nicht zu zweifeln, vielleicht war es ein Freund oder weiß der liebe Gott, wer. Er machte auf.
      »Darf ich eintreten?« fragte die Witwe Tripepi, den Blick zu Boden gesenkt.
    Vito trat rasch beiseite, er war wie vor den Kopf
    gestoßen, denn mit allen, nur nicht mit der Witwe hatte er gerechnet. Als die Frau im Zimmer war, kamen ihm Zweifel, ob es wohl besser wäre, die Türe offenzulassen oder zu schließen. Er beschloß, sie halb angelehnt zu lassen. Ohne nach rechts noch nach links zu blicken, ging die Witwe wie eine Schlafwandlerin bis zur Mitte des Raums und sprach noch immer kein Wort. Als sie endlich den Mund aufmachte, hatte auch Vito gerade zu sprechen begonnen, und beide Stimmen bildeten einen unverständlichen Laut.
      »Möchten Sie Platz nehmen?« hob Vito nach einem Augenblick erneut an.
      »Nein, danke, machen Sie sich keine Umstände, ich gehe gleich wieder«, erwiderte die Witwe und versuchte, ihre augenfällige Verlegenheit hinter einer gewissen Steifheit zu verbergen.
      »Ich wollte Sie nur eine Sache wissen lassen«, fuhr sie fort und holte tief Luft. »Schon heute früh wollte ich es Ihnen sagen, aber ich habe Sie, ich weiß nicht, warum, weder heimkommen noch weggehen sehen …«
      »Ich habe außer Haus übernachtet, ich bin erst spät nach Hause gekommen«, schnitt Vito ihr das Wort ab.
      »Ach! Vorgestern nacht, als auf Sie … als geschossen wurde, war ich … war ich am Fenster, ich weiß nicht, ob Sie im Vorbeigehen …«
      »Ich habe Sie gesehen«, sagte Vito barsch, »ebendeshalb habe ich mir gestern erlaubt, bei Ihnen zu klopfen, denn ich wollte Sie danach fragen.«
      »Eben«, meinte die Witwe, »ich habe mich an eine Sache erinnert. Kurz bevor Sie heimkamen, hatten zwei Personen am Ende der Piazza haltgemacht. Hinterher waren sie weg.«
    »Mhm«, meinte Vito, »vielleicht waren es zwei, die nichts
    damit zu tun hatten; wissen Sie, wenn jemand in zwei Metern Entfernung Schüsse hört, nimmt er die Beine in die Hand, selbst wenn sein Gewissen makellos und rein ist …«
      »Aber die sind gestern abend zurückgekommen. Es waren die gleichen, das kann ich Ihnen versichern, denn als ich sie wiedersah, ist mir aufgefallen, daß einer von beiden hinkte, und ich erinnerte mich, daß auch am Vorabend einer dabei war, der hinkte.«
      Vito hatte einen viel zu trockenem Mund, um zu sprechen, er nickte nur mechanisch. Mammarosa hatte sich also nicht geirrt.
    »Wußten Sie das schon?« fragte die Witwe schüchtern.
    »Ja«, brachte Vito nur heraus.
    »Und was gedenken Sie zu tun?«
      Vito breitete stumm die Arme aus. Die Witwe starrte ihn an und hatte es plötzlich sehr eilig.
      »Ich muß gehen«, sagte sie, »die Prozession kommt bald, und ich habe San Calogero zehn Kilo Brot versprochen. Fünf für mich, und, wenn Sie gestatten, fünf für Sie«, hauchte sie.
      Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, dann breitete Vito erneut die Arme aus. Die Witwe nickte zum Abschied und ging an ihm vorbei zur Tür hinaus, ohne ihn noch einmal anzusehen. Vito wartete, bis er das Schnappen ihrer Wohnungstür hörte, dann zog er vorsichtig seine eigene Tür zu und eilte ans Fenster. Bevor er den Blick auf die Prozession
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