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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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der Einlaß, wenn ich zu ihr gehe. Durchs Fenster, wie ein Liebhaber. Du und die anderen seid diejenigen, die durch die Tür treten, wie es die Ehemänner tun. Dir und dem ganzen Dorf setze ich die Hörner auf, und nicht umgekehrt.«
      Dann sagte er nichts mehr. Er zog den Teller mit den Sardinen zu sich heran, nahm das Brot, begann zu essen, als wäre der andere gar nicht anwesend.
    »Tust du mir einen Gefallen?« fragte Vito unvermittelt.
    »Was willst du?«
    »Begleite mich nach Hause.«
    »Damit das ganze Dorf etwas zu lachen hat?« meinte
    Peppi.
    »Tu mir diesen Gefallen, Peppi, ich bin am Ende.«
    »Und die zwei da draußen?«
      »Ebendeshalb will ich in Begleitung sein. Ich habe sie noch nie gesehen oder sonstwie ihre Bekanntschaft gemacht.«
      »Viele wart ihr, die ihr mir die Mannesehre genommen habt, und jetzt willst du, allein und innerhalb einer Sekunde, mir auch noch die Menschenwürde nehmen«, sagte Peppi und steckte sich die letzte Sardine in den Mund. »Gehen wir.«

    Um Schlag ein Uhr gingen die Türen auf, und der Heilige kam heraus. Im Jahr 1946, während des ersten Septembersonntags – das Fest zu Ehren von San Calogero fiel immer auf diesen Tag –, hätte Seine Exzellenz, Hochwürden Monsignore Luigi Rufino, beinahe der Schlag getroffen. Vor wenigen Monaten erst hatte es ihn aus seiner ach so fernen Heimatstadt Alessandria nach Agrigent verschlagen – während der Zeit der Republik von Salò hatte sein väterliches Herz ein wenig zu heftig zugunsten der schwarzen Brigaden geschlagen, was, so behaupteten böse Zungen, auch der Grund für seine Versetzung gewesen war –, und hier war er bei der Ausübung seines Amtes als Seelenhirte auf einige Hindernisse gestoßen. Nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren trachteten die Leute allzusehr nach der Befriedigung ihrer leiblichen Bedürfnisse, anstatt sich auf die seelischen zu besinnen. Im übrigen richtete der Bandit Giuliano größeren Schaden an als ein Hagelsturm; bewaffnete Banden aus der Separatistenbewegung verunsicherten Straßen und Feldwege, und die Amerikaner machten das Maß der Verwirrung voll, indem sie versuchten, Bauern, Schäfer und Fischer zu überreden, der evangelischen Kirche beizutreten, wo man nach Lust und Laune Camelzigaretten rauchte und Anrecht auf zwei Lebensmittelpakete pro Tag hatte. Der politische Kampf entzündete sich im wahrsten Sinne des Wortes, da die Stichflammen aus den luparas und die aus Rache in Brand gesteckten Ernteerträge regelmäßig die Meinungsverschiedenheiten ausleuchteten. Was Seiner Exzellenz jedoch den letzten Rest gab, war das Fest, dem er nun beiwohnte.
      »Das ist ein heidnisches Ritual!« hatte er den Gemeindepfarrer plötzlich angebrüllt, dem ein gewaltiger Schreck in die Glieder fuhr.
    Ehrlich gesagt, man mußte ihm einfach recht geben. Als
    die Türflügel aufgerissen wurden und die Böllerschüsse krachten – ein Feuerregen, der zum festlichen Anlaß mit übriggebliebener Kriegsmunition angereichert worden war –, hatten zwölf Hafenarbeiter die Trage mit der Statue auf der ersten Treppenstufe in Kippstellung gebracht und ihr dann mit vereinten Kräften einen Stoß versetzt. Der Heilige rutschte gefährlich schwankend die fünfzehn Stufen bis zur Piazza herunter und wurde dort von zwölf weiteren Lastenträgern gebremst; sie waren alle barfuß, die Köpfe bedeckt mit bunten, im Nacken verknoteten Tüchern, die Oberhemden bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, die Hosen wurden von einer breiten, farbigen Schärpe auf Hüfthöhe zusammengehalten. Beim Erscheinen des Heiligen erhob sich ein Schrei aus der Menge – »E chi ficimu? Nu scurdamu? Ebbiva San Calò!- Was machen wir? Könnten wir ihn je vergessen? Hoch lebe San Calò!« –, der in den Ohren Seiner Exzellenz wie das unverständliche und wilde Kriegsgeschrei der Türken auf den ersten Kreuzzügen klingen mußte; dann legten die fünfzehn ausgewählten Trommler in der gleichen Aufmachung wie die Hafenarbeiter mit großem Eifer los. Die Trage war noch rechtzeitig gestoppt worden, sonst hätte sie die Fensterscheiben von Masinos Café zertrümmert. Dutzende brüllender Menschen hatten sich gleichzeitig auf sie gestürzt, und kurze, aber wütende Streitereien waren entflammt. Die Carabinieri waren herbeigeeilt, um Ordnung zu schaffen und eine Reihenfolge festzulegen. So hatten sich verschiedene Familiengruppen gebildet, die sich gegenseitig böse Blicke und Flüche an den Kopf warfen, während sie darauf warteten, auf die
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