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Hades

Hades

Titel: Hades
Autoren: Alexandra Adornetto
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wedelten sich mit gefalteten Programmzetteln Luft zu. Ivy saß neben Dolly Henderson von nebenan und tat so, als interessiere sie sich für den Nachbarschaftstratsch. Am Rand warteten Dr. Chester und die gesammelte Lehrerschaft in vollem akademischem Ornat, wobei die Farbe ihrer Hüte anzeigte, welchem Wissenszweig sie angehörten. Der Schuldirektor würde die Zeremonie eröffnen, gefolgt von Xavier als Schulsprecher, der die Abschiedsrede der Absolventen halten sollte. Zum Glück war er ein geübter Redner, denn er hatte nicht viel Zeit gehabt, sich vorzubereiten, und sich nur ein paar Notizen gemacht, zu denen er frei reden würde. Durchs Fenster konnte man erkennen, wie Bernie in der Aula versuchte, ihre Jüngsten davon abzuhalten, aufeinander herumzuturnen, und mit Nicola schimpfte, weil sie auf ihrem iPhone Peggle spielte.
    Nach der Zeremonie war ein Essen in der Cafeteria geplant, die zur Feier des Tages mit weißen Tischdecken und Blumen geschmückt war. Ein professioneller Fotograf war bereits eifrig am Knipsen, weshalb Abby und die anderen Mädchen neues Lipgloss auflegten und den Sitz ihrer Hüte überprüften. Ich freute mich auf den Moment, in dem wir alle unsere Hüte in die Luft werfen würden – diese Szene hatte ich schon so oft in Filmen gesehen, dass ich sie unbedingt selbst erleben wollte. Ivy hatte meinen Namen in meinen Hut eingeklebt, sodass ich ihn danach leicht wiederfinden würde.
    Die gesamte Schule war von einer ganz eigenen Energie erfüllt. Denn unter all der Aufregung lag auch Wehmut verborgen. Nie wieder würden Molly und ihre Freundinnen auf ihrem Stammplatz im Hof sitzen, ihre Bank würde bald von einer neuen Gruppe von Oberstufenschülern eingenommen werden, die einfach nicht dieselben waren. Die Tage, an denen sie die Schule geschwänzt, für Prüfungen gebüffelt und in den Freistunden mit den Jungs vor den Spinden geflirtet hatte, waren vorüber. Die Schule hatte sie zusammengeführt, jetzt erwartete man von ihnen, dass sie ihren eigenen Lebensweg einschlugen, und mit Sicherheit würden nie wieder alle gleichzeitig am selben Ort sein.
    Ich konnte es nicht erwarten, dass die Zeremonie endlich begann. Vor lauter Aufregung vergaß ich beinahe, dass ich eigentlich nur eine Zuschauerin war. Aber gerade jetzt kam ich mir vollkommen menschlich vor, wollte mich um die Einschreibung am College kümmern und überlegen, was ich mal werden wollte. Wie so oft musste ich mich selbst daran erinnern, dass ich dieses Leben nur geborgt hatte. Das Beste, was ich tun konnte, war, mit Xavier und meinen Freundinnen mitzuleben, an ihren Erlebnissen teilzuhaben.
    Molly legte schluchzend die Arme um mich. «Mann, ist das traurig», sagte sie unter Tränen. «In den letzten Jahren habe ich ständig über diese Schule gejammert, und jetzt möchte ich gar nicht weg.»
    «Ach, Molly, das wird schon», sagte ich und schob ihr eine eigensinnige Locke hinter das Ohr. «Und du gehst doch auch nicht gleich morgen aufs College.»
    «Aber ich war fast mein ganzes Leben auf dieser Schule», sagte Molly. «Die Vorstellung, nie wieder zurückzukommen, macht mich fertig. Ich kenne jeden Einzelnen in dieser Stadt, ich bin hier zu Hause.»
    «Und das bleibt auch so», sagte ich. «Das College ist ein riesiges Abenteuer, aber wenn du zurückkommst, ist Venus Cove immer noch da.»
    «Aber ich werde so weit weg sein!», jammerte sie.
    «Molly.» Ich umarmte sie lachend. «Du gehst nach Alabama – in den Nachbarstaat !»
    Sie kicherte und schniefte zugleich. «Da hast du vermutlich recht, danke, Beth.»
    Eine Hand legte sich um meine Hüfte, und im selben Moment spürte ich Xaviers Lippen an meinem Ohr. «Kann ich kurz mit dir reden?», murmelte er. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an. Das Blau der Robe passte gut zu seiner Augenfarbe, und sein weiches walnussfarbenes Haar sah trotz Hut noch halbwegs ordentlich aus.
    «Klar, was gibt’s?», fragte ich. «Bist du nervös?»
    «Nein», sagte Xavier.
    «Hast du deine Rede fertig? Du hast gar nichts davon erzählt.»
    «Wir bleiben nicht», sagte Xavier so ruhig, als wäre dies nicht mehr als eine nebensächliche Information.
    «Wie bitte?», sagte ich. «Warum nicht?»
    «Weil es mir nichts mehr bedeutet.»
    «Mach dich nicht lächerlich.»
    «Ich habe noch nie in meinem Leben etwas so ernst gemeint.»
    Ich glaubte ihm immer noch nicht. «Heute drehen irgendwie alle durch», sagte ich. «Brauchst du plötzlich keinen Schulabschluss mehr?»
    «Meinen Abschluss habe ich
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