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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Aktien? Sind sie wertlos geworden? Brauchst du Geld?«
    Meine Mutter schüttelte traurig den Kopf.
    »Ach Kind, das ist das Einzige, was dir dazu einfällt. Es gibt andere, wesentlich schwerwiegendere Dinge, als Geld zu verlieren.«
    Sie spießte ein Stückchen Kuchen auf ihre Gabel und ummäntelte es konzentriert mit Schlagsahne.
    »Vielen Dank für die Belehrung. Ist mir klar, dass du finanzielle Sicherheit nicht anerkennst. Meinen beruflichen Erfolg sowieso nicht. Brauchst du auch nicht. Ich bin kein kleines Kind mehr, das gelobt werden muss. Aber du solltest auf tierische Fette und Zucker verzichten. Wann hast du bei dir das letzte Mal das Cholesterin im Blut bestimmen lassen?«
    Meine Mutter schob sich ungerührt das Kuchen-Sahne-Gemisch in den Mund. Ich spürte, wie immer mehr Wut Besitz von mir ergriff.
    »Also, Mama, sag mir jetzt, was das für ein furchtbarer Fehler ist. Für Rätselraten habe ich keine Zeit. Ich bin noch nicht im Rentenalter.«
    Sie sah mich eindringlich an.
    »Glaubst du, die Zeit kann man auf einem Konto ansparen, und sie wartet auf dich, bis du alt bist?«
    Ich trank einen Schluck schwarzen Kaffee. Das hätte ich mir denken können. Ich hatte ihr das Stichwort für ihr Lieblingsthema gegeben.
    »Ja, das denke ich«, antwortete ich aufsässig. »Mehr Zeit, als ich bewältigen kann.«
    Meine Mutter schüttelte sorgenvoll den Kopf.
    »Du solltest dich wirklich ein wenig besser vorbereiten, ich meine auf das Altwerden.«
    »Das tue ich. Ich halte Diät und laufe jeden Tag am Crosstrainer, reite regelmäßig und benutze eine effektive Kosmetikserie. Und wenn es dich beruhigt, meinen Geist trainiere ich ebenfalls.«
    »Du bist eine ausgesprochen attraktive Frau, keine Frage.«
    »Danke, und das gedenke ich auch zu bleiben.«
    »Eine gute Einstellung. Unser Körper trägt uns durch dieses Leben. Aber er altert, ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht. Um das zu begreifen, braucht man Muße. Sonst erschreckt man sich und ist plötzlich alt.«
    »Oh nein, nicht diese Leier. Was schlägst du denn vor? Jeden Tag mehrmals zu meditieren: Michelle, merke auf! Du bist wieder einen Tag älter geworden. Bald ist es so weit. Ich bin jetzt gerade 41 und werde das dann schon merken.«
    »Wie willst du etwas merken, wenn du nur im Hamsterrad läufst? Selbst Hamster liegen zwischendurch faul in ihrem Nest, und sie erhalten sich ihre Neugierde für ihre Umgebung. Nimmst du dir Zeit, um faul zu sein? Wirklich nichts zu tun? Nur mit dir zusammen zu sein oder mit deinen Kindern und Hans?«
    »Ich bin erwachsen und brauche deine Psycho-Tipps nicht mehr. Es reicht. Du hast deine Idee vom Leben – ich meine!«
    Aber mittlerweile war ich so aufgebracht, dass ich mich aus der Reserve locken ließ und meine Lebensumstände mehr oder weniger verteidigte.
    »Falls es dich beruhigt: Mira reitet und geht mehrmals in der Woche zum Ballett. Leidenschaftlich gern. Lasse hat den grünen Gürtel in Aikido und ist sehr aktiv in seiner Schach-AG. Sie sind beide ständig unterwegs und hochzufrieden. Sie würden sich bedanken, wenn ich sie zu netten Familienmeditationen unter dem Kirschbaum zwingen würde. Hans arbeitet ebenfalls viel und gern, und abends entspannt er sich vor dem Fernseher.«
    Mama sah mich ruhig an. Sie sagte kein Wort, aber sie hatte diesen wissenden Blick. »Okay, gewonnen«, sagte ich. »Das finde ich unattraktiv, aber ich bin nicht sein Kindermädchen.«
    »Vielleicht solltest du ihn nicht so viel allein lassen.«
    »Soll ich auch zu Hause hocken bleiben, nur weil Hans keine Interessen neben der Arbeit hat? Ihm vielleicht die Erdnüsse reichen oder das Bier? In welchem Jahrhundert leben wir denn!«
    »Nun reg dich nicht so auf.«
    »Doch, ich rege mich auf. Total. Sag nicht immer, ich soll mich nicht aufregen! Vom ständigen Relativieren wird es auch nicht besser.«
    »Von wütenden Gedanken schon gar nicht. Die vernebeln das Hirn.«
    Ich stieß laut die Luft aus und zwang mich ein letztes Mal auf eine sachliche Ebene. Ich würde gleich gehen und ich würde mich nicht auf unser übliches neurotisches Scharmützel einlassen.
    »Beenden wir hier unsere Diskussion. Sie führt zu keinem Ergebnis. Hat sie noch nie. Ich weiß, ich kann nicht nachholen, was ich versäumt habe. Amen. Zufrieden?«
    »Und warum lebst du dann nicht dementsprechend? Du lebst, als könntest du dir selbst davonrennen.«
    »Oh Mama, die Zeit rennt mir gerade davon, weil du mir deine Weisheiten aufhalst. Ich mag es schnell. Mein Leben
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