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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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pflücken und Brausepulver ein.
    Ich mag an alten Menschen nicht, wenn sie, obwohl sie Zeit haben, sich vordrängeln. Ungeduldig und humorlos sind. Wenn sie unreflektiert und egoistisch nur noch sich selbst sehen können. Ihre Verbitterung an Menschen in ihrer Umgebung auslassen.
    Mir imponiert an alten Menschen, wenn sie ruhig und gelassen das Treiben des Lebens betrachten können. Die hohe Kunst beherrschen, jungen Leuten nicht anmerken zu lassen, was sie wissen. Sie nicht ständig bremsen oder warnen. Als Junge versucht man halt, an den Elektrozaun zu pinkeln. Die Warnung vor einem kleinen Stromschlag hält nicht davon ab, das auszuprobieren. Man muss es selbst gespürt, einmal den Mut gehabt haben. Ich mag alte Menschen, die den jungen nicht das Gefühl geben, dass es schon alles einmal gegeben hat. Sonst verdirbt man ihnen den Spaß.
    Wenn ich ganz plötzlich mein Heim verlassen müsste, würde ich unseren Wohnwagen mitnehmen (lacht).
    Wenn ich mir vorstelle, ich wäre 86 Jahre alt, sehe ich mich am Teich sitzen und die Fische füttern. Ich beobachte die Kletterkünste eines frechen Eichhörnchens. Ich schaue den Wolken hinterher. Aber ich fahre auch noch E-Bike (meistens trete ich aus eigener Kraft) und ich segle. Ich züchte alle möglichen Kräuter und backe Brote.

Kapitel 2
     
    Natürlich machte ich mir in erster Linie Sorgen um meine Mutter. Aber um ehrlich zu sein, auch um ihr Sparbuch. Es hätte mich einfach maßlos geärgert, wenn sie das schöne Geld für eine verrückte Idee aus dem Fenster geworfen hätte. Die ihr mit Sicherheit ihre durchgeknallte Freundin Lilly eingeredet hatte. Wer weiß, wo die mit meiner Mutter hinreisen wollte. Vielleicht nach Indien zu irgendeinem Guru. Diese theatralische Abschiedsvorstellung mit erzwungener Kaffee-Einladung beunruhigte mich zunehmend.
    Es war ein unerträglich schwüler Spätsommertag. Der Parkplatz am See war brechend voll. Zum Glück war ich mit meinem ›Kleinen‹ unterwegs und ergatterte noch eine enge Lücke. Der Wagen rechts neben mir konnte danach nicht mehr von der Fahrerseite bestiegen werden. Egal. Ich hatte nicht vor, lange zu bleiben. Die anderen Wagen standen hier mit Sicherheit bis in die Abendstunden.
    Ich war nicht gern draußen am See. Diese viel gepriesene Freiheit der Lauben- und Campingplatzidylle war mir zu muffig. Und den Radweg, der sich rund um den lang gezogenen Teich schlängelte, mied ich sowieso. Aus gutem Grund. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wer mir dort über den Weg laufen würde. Schließlich riet ich allen meinen Depressiven zum Spazierengehen, Radeln oder sogar Segeln. Und zwar hier! Vielen Dank auch. Darauf konnte ich verzichten. Ihre euphorischen Berichterstattungen waren mir aus der Praxis zur Genüge bekannt. »Frau Dr. Meinberg, ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß es macht, flache Steine zu sammeln und über das Wasser zu werfen. Oder an der kleinen Brücke die Wiese mit dem Meer aus blühendem Flox. Es ist faszinierend, verliebten Schmetterlingen dort beim Tanzen zuzusehen. Oder wussten Sie, dass die Frösche am Westufer im Schilf zu Hause sind? Ich kenne jetzt schon ein paar von ihnen und bilde mir ein, sie mich auch. Finden Sie das albern?«
    Allerdings, aber therapeutisch waren diese fleißig produzierten Glückshormone außerordentlich unterstützend. Die Quelle war letztendlich unwichtig, und sei sie eine wundervolle Froschbekanntschaft.
    Ausgerechnet in dieser Oase des Glücks stand Mamas Datscha, und explizit hier wollte sie sich mit mir treffen. Gleich neben der Kleingartenkolonie lag ein Campingplatz. Auf dem hauste Mamas schräge Freundin Lilly.
    Es bewegte sich kein Lüftchen. Ich irrte zwischen den akkurat geschnittenen Buchsbaumhecken durch ein Labyrinth aus schmalen Kieselsteinwegen. Für mich ähnelten sich die kleinen Grundstücke wie ein Ei dem anderen. Die einzige Orientierungshilfe: Die Wege hatten Namen. Ich strengte mein Gedächtnis an. Mamas Häuschen lag direkt am See. Sonnenweg Nr. 8. Genau. Ich ging trotz der Hitze zügig und versuchte, die Rinnsale aus Schweiß, die über meinen Rücken liefen, zu ignorieren. Ohne Erfolg. Mein Körper kochte und schürte neue Wut. Was ging in meiner Mutter vor, mich wie ein dummes, kleines Schulkind hierher zu bestellen? Mit der dramatikumwobenen Aussage: Wir werden uns sehr lange nicht sehen!
    Endlich war ich auf dem Sonnenweg. Ich erkannte das Schild mit den eingeschnitzten Elfen wieder. Aber nicht Mamas Laube. Die Holzvertäfelung war
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