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Gute Nacht: Thriller (German Edition)

Gute Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Gute Nacht: Thriller (German Edition)
Autoren: John Verdon
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er regelmäßig, manchmal sogar stündlich, in der Hoffnung, dass die Taubheit allmählich nachließ – oder, an düsteren Tagen, in der Furcht, sie könnte sich ausbreiten. Gelegentlich und völlig unvorhersehbar spürte er einen stechenden Schmerz in der Seite, wo die zweite Kugel seinen Körper durchschlagen hatte. Außerdem trat in ungleichmäßigen Abständen ein Prickeln – wie eine Art Juckreiz, gegen den selbst Kratzen nicht half – im Zentrum seines Haaransatzes auf, wo die dritte Kugel in seinen Schädelknochen eingedrungen war.
    Die wohl quälendste Folge dieser Verletzungen war sein Wunsch nach Bewaffnung. Früher in der Arbeit hatte er eine Pistole getragen, weil es Vorschrift war, doch im Gegensatz zu den meisten Polizisten nie eine Vorliebe für Schusswaffen gehabt. Und als er nach fünfundzwanzig Jahren aus dem aktiven Dienst ausschied, legte er zusammen mit der goldenen Marke des Detective auch die Notwendigkeit ab, bewaffnet zu sein.
    Aber nach den Schüssen auf ihn war es damit vorbei.
    Wenn er sich jetzt am Morgen anzog, war der unvermeidliche, letzte Gegenstand, den er umschnallte, ein Knöchelhalfter, in dem eine Beretta Kaliber .32 steckte. Er hasste das emotionale Verlangen danach. Hasste die Veränderung in ihm, die ihn dazu zwang, das blöde Ding ständig mit sich herumzuschleppen. Eigentlich hatte er gehofft, dass dieses Bedürfnis allmählich schwinden würde, doch bisher hatte sich diese Erwartung als trügerisch erwiesen.
    Zu allem anderen kam hinzu, dass ihn Madeleine seit einigen Wochen anscheinend mit einer neuen Art von Sorge in den Augen betrachtete – nicht der flüchtige Ausdruck von Schmerz und Panik, den er im Krankenhaus gesehen hatte, und auch nicht der Wechsel von Hoffen und Bangen, der ihn in der ersten Genesungszeit begleitet hatte, sondern etwas Stilleres, Tieferes: eine halb verborgene, chronische Angst, als würde sie Zeugin eines schrecklichen Geschehens.
    Immer noch am Frühstückstisch sitzend, trank er seinen Kaffee mit zwei großen Schlucken leer. Dann trug er den Becher zur Spüle und ließ heißes Wasser hineinlaufen. Nebenan im Vorraum reinigte Madeleine das Katzenklo. Auf ihr Drängen hin war das Tier vor Kurzem angeschafft worden. Warum, war Gurney ein Rätsel. Um ihn aufzumuntern? Damit er sich nicht immer nur mit sich selbst beschäftigte? Wenn ja, funktionierte es nicht. Die Katze interessierte ihn genauso wenig wie alles andere.
    »Ich geh duschen«, verkündete er.
    Aus dem Vorraum kam eine Antwort von Madeleine, die nach »gut« klang. Er war nicht sicher, ob er richtig gehört hatte, aber er fand es sinnlos nachzufragen. Er ging ins Bad und drehte das warme Wasser auf.
    Eine lange, dampfend heiße Dusche – der starke Strahl, der Minute um Minute vom Halsansatz bis zum Ende der Wirbelsäule gegen seinen Rücken prasselte, Muskeln entspannte, Kapillargefäße erweiterte, Kopf und Nebenhöhlen freiblies –, das erzeugte ein Gefühl des Wohlbehagens in ihm, das ebenso wunderbar wie flüchtig war.
    Bereits als er angezogen erneut zur Glastür trat, machte sich in ihm wieder ein lähmendes Gefühl von Anspannung breit. Madeleine war jetzt draußen auf der mit Bluestone-Platten ausgelegten Terrasse. Dahinter lag der schmale Streifen Wiese, der nach zwei Jahren häufigen Mähens endlich einem Rasen glich. In grober Jacke, orangefarbener Trainingshose und grünen Gummistiefeln arbeitete sie sich am Rand der Steinplatten entlang und trat eifrig alle fünfzehn Zentimeter den Spaten in den Boden, um die vordringenden Wurzeln des wilden Grases hinter eine klare Grenzlinie zu verbannen. Ihr Gesicht schien die Einladung auszudrücken, sich zu ihr zu gesellen, um sogleich einen enttäuschten Ausdruck anzunehmen, weil er keinerlei Anstalten machte.
    Irritiert schaute er weg, den Hang hinunter zu seinem grünen Traktor neben der Scheune.
    Sie folgte seinem Blick. »Ich hab mir überlegt, vielleicht könntest du mit dem Traktor die Furchen einebnen?«
    »Furchen?«
    »Wo wir die Autos parken.«
    »Klar …« Er zögerte. »Glaub schon.«
    »Muss auch nicht gleich sein.«
    »Hm.« Damit waren auch die letzten Reste von Gleichmut nach der Dusche verflogen, weil seine Gedanken jetzt um ein merkwürdiges Traktorproblem kreisten, das er vor einem Monat entdeckt und danach weitgehend verdrängt hatte – mit Ausnahme der paranoiden Momente, wenn es ihn in den Wahnsinn trieb.
    Madeleine hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. »Mir reicht’s fürs Erste mit dem Graben.«
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