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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition)
Autoren: Nir Baram
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Frau zu rächen, und habe beschlossen, die Meinungsverschiedenheiten mit ihm aus der Welt zu schaffen. Am gestrigen Tag hatte er ihn getroffen und erfahren, dass Sascha gewagt hatte, ihrem direkten Vorgesetzten unverhohlen zu drohen. Kropotkin hatte sich jedoch geweigert, die näheren Umständen des Falles darzulegen.
    Glücklicherweise war der Genosse Kropotkin ein anständiger und vernünftiger Mann, und man war zu einer befriedigenden Übereinkunft gelangt.
    »Was für eine Übereinkunft?«, fragte Sascha.
    »Eine gütliche Regelung«, knurrte Maxim.
    »Eine Übereinkunft, die besagt, dass ich Brest verlassen werde!«
    »Wo denkst du hin?«, presste er voller Bitterkeit hervor. »Ich habe inzwischen begriffen, dass du hier bleiben und die Deutschen empfangen willst, und ein guter Ehemann hilft seiner Frau, ihre Träume zu verwirklichen.«
    Nachdem er ihr die Kleider ausgezogen und sie eng umschlungen miteinander geschlafen hatten, verkündet er, wenn sie bleiben wolle, sei das völlig in Ordnung, er werde Brest nicht ohne sie verlassen.
    Zwei Tage später wurde er zurück nach Leningrad beordert.
    »Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, als ich dich geheiratet habe, und zum Dank hast du uns dem Untergang geweiht«, hielt er ihr noch am Bahnsteig vor. »Du willst nicht weiterleben. Das ist dein gutes Recht.«
    Wenn er sie dort zurückließ, an vorderster Front, ohne Schuld und Scham zu empfinden, musste er glauben, dass sie ein hoffnungsloser Fall war.
    Er küsste sie nicht, nahm nur ihre Hand und schaute ihr in die Augen, als suchte er dort nach einem Funken von Liebe. Sie hegte keinen Zweifel an seinem Mut; hätte er nicht gewusst, dass es keine Hoffnung für sie gab, hätte er gewaltige Risiken auf sich genommen, um bei ihr zu bleiben. Dann aber war alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen, und er hatte seinen Schnauzbart gezwirbelt, als wollte er Gleichmut demonstrieren. »Wenn du zurück in Leningrad bist, werden wir über die Zukunft unserer Ehe sprechen«, sagte er wie zum Trost. »Vielleicht sehen wir dann die Dinge in einem anderen Licht.« Er legte die Arme um sie, zog sie jedoch nicht an sich wie sonst. »Ja, vielleicht werden wir bestimmte Dinge noch in einem anderen Licht sehen.«
    Nach Ablauf einer Woche bestellte Nikita Michailowitsch sie zu sich und teilte ihr in aller Form mit: »Ende Juni werden Sie die Oblast verlassen und nach Leningrad zurückkehren.«
    Sie war nicht überrascht zu hören, dass dies ihrer Abmachung entsprach und dass Maxim sie belogen hatte, wie so oft.
    Die Frau eines Gorkombeamten tauchte neben ihr auf, schob eine Schubkarre, in der Kinder wie Föten zusammengerollt lagen, zwei oder drei, ein Durcheinander von Gesichtern und Haaren, rosigen Armen und Beinen. Die Frau sprach sie an und bat, eine Weile die Schubkarre für sie zu schieben, »nur eine Minute oder zwei«, sie habe keine Kraft mehr.
    Sascha antwortete nicht, die Entfernung zwischen ihr und Kolja trat ihr erneut vor Augen wie eine endlose Wüste, die nicht zu durchqueren war.
    Hinter ihr stieß ein Tiefflieger herab, sie hörte das Pfeifen der Bombe, alle warfen sich zu Boden, die Frau des Beamten umklammerte die Schubkarre, und Sascha begann zu laufen. Allein rannte sie über die Straße, endlich allein, hoffte, die am Boden Liegenden würden nicht aufstehen. Von weit hinten kam das Rattern eines Maschinengewehrs, sie hörte Schmerzensschreie, gefolgt vom Stöhnen der Sterbenden, und in der Luft hing der Geruch von verbranntem Fleisch. Ein rostroter Staubpilz – offenbar aus zerbombten Ziegeln – tat sich über ihr auf. In ihrer verzweifelten Einbildung rannte sie hinter Kolja her und erblickte den Totenblassen: im Sitzungszimmer im Winterpalast, am Ende der Brücke über den Fluss, im Tunnel, der zum Cholmer Tor führte, zwischen den Türmen. Sie kämpfte gegen ihre Ohnmacht an und stolperte weiter, versuchte mit aller Kraft, die vergifteten Bilder, die in ihr flackerten, durch die Wirklichkeit zu ersticken: Vielleicht ist er noch am Leben, vielleicht nur verwundet, wer sagt, dass er tot ist, wenn sie erst wieder vereint wären, würde sie ihn schon dort rausholen.
    Einige Minuten lief sie blind durch all den Staub, bis sich dieser ein wenig gelegt hatte und sie am Ende der Allee eine Flüchtlingskolonne ausmachen konnte, die sich auf der Straße der Pioniere in Richtung Moskau bewegte.
    Sie beschleunigte ihre Schritte, drängte sich durch Trauben von Menschen, und plötzlich ragte aus dem Qualm die Festung
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