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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Anwalt tun müsste, um diesen Herrn Duilio Weißnichtwer möglichst gut wegkommen zu lassen und ihm womöglich sogar die Haft zu ersparen. Aber dann merkte ich, dass ich dazu gar keine Lust hatte, und ertappte mich sogar dabei, ihm einen Idioten als Anwalt zu wünschen – am besten Schirani –, und zu hoffen, dass der Staatsanwalt kein Verständnis hätte und Duilio mit aller Brutalität ins Gefängnis geworfen werden würde – zweifellos ein geeigneter Aufenthaltsort für jemanden wie ihn.
    »Wird er denn auch wegen Drogenbesitz angeklagt werden?«
    »Ja. Die Anklagepunkte müssten, neben dem Beseitigen von Beweismitteln, auch den Besitz von Betäubungsmitteln beinhalten sowie den 586.«
    »Was ist der 586?«
    »Den Artikel 586 des Strafgesetzbuches müsstest du eigentlich schon durchgenommen haben.«
    Sie sagte nichts, also fuhr ich fort: »Tod als Folge einer anderen Straftat. Eine Form von Totschlag, allerdings weniger schlimm. Dahinter steckt der Gedanke, dass du, wenn du jemandem Drogen gibst und derjenige aufgrund dieser Drogen stirbt, für seinen Tod verantwortlich bist.«
    »Müssen wir die Polizei dorthin bringen, wo wir … Ich meine, auf diese Müllhalde?«
    »Ich glaube nicht, dass das nötig ist«, log ich.
    Sie knetete ihre Hände. Sie zog laut und gedankenlos die Nase hoch wie jemand, der gerade geweint hat. Dann strich sie sich mit der Hand übers Gesicht und sah mich an. Jetzt drückte ihre Miene Schmerz und Aufrichtigkeit und Reue aus. Sie war eine erschreckend gute Schauspielerin, und jetzt machte sie sich bereit für ihren letzten Versuch.
    »Guido, muss ich da denn wirklich hin? Manuela ist tot, und ich werde mein Leben lang bereuen, was geschehen ist. Aber wenn ich mich stelle, wird sie das nicht ihrer Familie zurückbringen. Das Einzige, was wir dadurch erreichen, ist, dass mein Leben zerstört wird, ohne Nutzen für irgendjemanden. Was hat das für einen Sinn?«
    Großartige Frage. Die erste Antwort, die mir in den Sinn kam, war die, dass der arme Mann jetzt vielleicht nicht mehr jeden Tag zum Bahnhof gehen und auf die Züge warten müsste. Vielleicht.
    Ich geriet ins Wanken. Vielleicht hatte ich wirklich überstürzt gehandelt, als ich Navarra anrief. Vielleicht hatte sie recht – sie zu zwingen, zur Polizei zu gehen, würde nur noch mehr Leben zerstören, ohne jenes zurückzubringen, das für immer verloren gegangen war.
    Was für einen Sinn hatte das?
    Wie ein kleines Licht in der Dunkelheit kam mir plötzlich ein Ausspruch von Hannah Arendt in den Kopf.
    Das einzige Heilmittel gegen die Unsicherheit des Schicksals, gegen die chaotische Ungewissheit der Zukunft, ist die Fähigkeit, Versprechen zu geben und zu halten.
    Ein Versprechen halten. Vielleicht war das der Sinn. In jedem Fall war es der einzige, der mir blieb.
    »Du musst hingehen. Darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren.«
    »Und wenn ich es nicht tue?«
    »Dann müsste ich es tun, und das würde alles noch viel schlimmer machen. Für alle.«
    »Du darfst das nicht, du verstößt gegen deine Schweigepflicht, wenn du ihnen sagst, was ich dir erzählt habe.«
    Sie brachte das vor wie eine Behauptung, aber in Wirklichkeit war es ein Akt der Verzweiflung. Und juristisch gesehen völlig unsinnig.
    »Du bist keine Mandantin von mir.«
    »Und wenn ich sage, dass du mich verführt hast? Wenn ich dich in der Anwaltskammer ins Gerede bringe?«
    »Das wäre unangenehm«, gab ich zu. »Unangenehm, aber ohne Folgen. Wie ich schon sagte, bist du keine Mandantin, und du bist nicht einmal minderjährig.«
    Sie sagte eine Weile lang gar nichts mehr und suchte offensichtlich verzweifelt nach einem allerletzten Argument, das sie jedoch nicht fand. Schließlich wurde ihr bewusst, dass wir wirklich am Ende angelangt waren.
    »Du bist ein Scheißtyp. Du wirfst mich einfach weg, weil du von deinen Mandanten bezahlt werden willst. Dabei sind dir die scheißegal, so wie ich, wie alle anderen auch. Das Einzige, worauf es dir ankommt, ist dein dreckiges Geld.«
    Ich ließ den Wagen an und fuhr die Blocks entlang, die uns vom Eingang der Polizeikaserne trennten. Navarra war schon dort, und als ich an ihm vorbeifuhr, grüßten wir uns. Ich hielt ein Stück weiter vorn, neben ein paar Müllcontainern.
    »Bevor ich jetzt zu den Bullen gehe und mein Leben im Klo hinunterspüle, muss ich dir noch was sagen.«
    Ihre Stimme war von Hass und Wut erfüllt, und vielleicht wollte sie, dass ich fragte, was sie mir sagen wollte. Ich tat es nicht, und das
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