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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Autoren: Gianrico Carofiglio
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heißt, dass ich nicht fand, was dort sein sollte und woran ich bis jetzt nicht gedacht hatte. Der Ekel nahm zu, so sehr, dass ich jeden Moment damit rechnete, mich übergeben zu müssen.
    Der Hund hatte nicht gebellt. Und ich kannte diesen Hund.
    Ich schaltete das Handy ein und sah, dass Caterina vier Mal angerufen hatte.

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    I ch fragte mich, ob es besser wäre zu warten, und antwortete mir gleich mit Nein.
    Also rief ich zurück. Sie nahm fröhlich beim zweiten Klingeln ab.
    »Hallo, Gi-gi! Wie schön, wenn dein Name auf meinem Display erscheint.«
    »Hallo, wie geht’s?«
    »Gut. Das heißt, jetzt, wo ich mit dir spreche, sehr gut. Ich habe deine Anrufe von gestern Abend gesehen, aber ich hatte das Handy ausgeschaltet. Ich war todmüde …« Pause mit anspielungsreichem Gelächter. »… und bin ins Bett gefallen wie eine Fünfjährige. Heute Morgen habe ich es mehrmals bei dir probiert, aber du warst nicht zu erreichen.«
    »Ich war bei Gericht und bin gerade erst zurückgekommen. Hör mal, ich dachte …«
    »Ja?«
    »Was hältst du davon, wenn ich dich in zwanzig Minuten abhole und wir irgendwo am Meer etwas essen gehen?«
    »Was ich davon halte? Ich finde es fantastisch. Ich mache mich schnell fertig, in zwanzig Minuten stehe ich vor der Haustür.«
    Ich kam genau zwanzig Minuten später bei ihr vorbei, die Zeit, die ich brauchte, um das Auto aus der Garage zu holen und zu ihr zu fahren. Ich hielt gerade in zweiter Reihe, als sie aus dem Haus kam. Sie stieg lächelnd ein, gab mir einen Kuss und schnallte sich an. Sie wirkte ausgesprochen fröhlich, geradezu glücklich und war wirklich wunderschön. Die Bilder der römischen Nacht tauchten noch einmal vor meinen Augen auf, wie vereinzelte Einstellungen, die man in einem Film geschnitten hatte, der von etwas ganz anderem handelte und in dem es kein Happy End gab. Mir stockte der Atem, so grausam vermischten sich Traurigkeit und Lust in mir.
    »Wohin bringst du mich?«
    »Wo würdest du gern hingehen?«
    »Hättest du Lust, in die Forcatella zu fahren und Seeigel zu essen?«
    Die Forcatella war ein Gebiet an der Küste südlich von Bari, kurz hinter der Grenze zwischen den Provinzen Bari und Brindisi. Die Gegend war berühmt für ihre hervorragenden Seeigel.
    Das Auto glitt geschmeidig und still über die Landstraße, die durch die Felder führte. Die Wolken waren weiß und grandios wie auf den Fotos von Ansel Adams. Der Frühling war kurz davor, sich endlich ganz auszubreiten, und weckte eine gefährliche Euphorie. Ich versuchte, mich aufs Fahren und auf die einzelnen Vorgänge wie Schalten, Lenken, in den Rückspiegel schauen zu konzentrieren und an nichts anderes zu denken.
    Es waren wenig Leute unterwegs, und wir bekamen einen Tisch direkt am Meer. Mit zwei, drei Schritten wäre man am Wasser gewesen, das sanft gegen die Felsen schwappte. Die Luft war erfüllt von allerlei Gerüchen, und der blaue Horizont des Meeres zog eine perfekte, deutliche Abgrenzung gegen das hellere Blau des Himmels.
    Verflucht, dachte ich, als ich mich gegenüber von ihr hinsetzte.
    Wir bestellten fünfzig Seeigel und eine Karaffe mit eiskaltem Weißwein. Und dann noch einmal fünfzig und noch eine Karaffe. Die Seeigel waren groß und voll: orangefarbenes Fleisch mit geheimnisvollem Geschmack. Zusammen mit dem leichten, kalten Wein stiegen sie einem angenehm zu Kopf.
    Caterina redete, aber ich hörte ihr nicht zu. Ich lauschte dem Klang ihrer Stimme, beobachtete ihr Mienenspiel, ihren Mund. Ich dachte, dass ich gern ein Foto von ihr als Andenken behalten würde.
    Ein seltsamer Gedanke, der jedoch andere nach sich zog. Darunter auch die Idee, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Ein paar Minuten dachte ich sogar ernsthaft daran, ja, ich glaubte, entschieden zu haben, dass ich alles auf sich beruhen lassen würde, und in diesen Minuten verspürte ich das Gefühl vollkommener Beherrschung, ein flüchtiges, perfektes Gleichgewicht. Die Perfektion von etwas, was vorübergehend und nur von kurzer Dauer ist.
    Mir fiel eine Autoreise durch Frankreich ein, die ich vor vielen Jahren mit Sara und anderen Freunden unternommen hatte. Wir waren nach Biarritz gekommen, dessen altmodische Atmosphäre uns so gut gefiel, dass wir beschlossen, eine Weile dort zu bleiben. Ich nahm ein paar Stunden Surfunterricht und schaffte es nach unendlich vielen Versuchen tatsächlich, drei, vier Sekunden auf dem Surfbrett auf der Welle zu stehen. In diesem Moment wurde mir klar, warum die Surfer – die wahren
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