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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Autoren: Gianrico Carofiglio
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machte sie noch wütender.
    »Ich war nur deshalb mit dir im Bett, weil ich dich unter Kontrolle halten wollte. Damit du uns nicht entdeckst.«
    Na, das ist dir ja nicht besonders gut gelungen, dachte ich und nickte.
    »Es war wie ein Auftrag, ich habe alles nur vorgetäuscht, und mich ekelt vor dir. Du bist alt, und wenn du Alzheimer hast oder ins Bett machst oder auf eine Pflegerin aus Moldawien gestützt durch die Gegend schlurfst, dann werde ich immer noch schön und jung sein, und mir wird grausen bei dem Gedanken, dass du mich einmal angefasst hast.«
    Hey, jetzt mal langsam, ich glaube, du übertreibst, Mädchen. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Altersunterschied zwischen uns nur zweiundzwanzig Jahre beträgt, und nicht vierzig. Gut, zweiundzwanzig sind nicht wenig, aber wenn ich ein Pflegefall bin, dann bist du auch nicht mehr taufrisch.
    Das sagte ich zwar nicht, überlegte jedoch gerade ernsthaft, ob ich es nicht doch tun sollte, als sie mit großer Eleganz der armseligen Situation ein Ende machte.
    »Scheißkerl«, sagte sie, für den Fall, dass ich ihre Worte vorher missverstanden haben sollte. Dann spuckte sie mir ins Gesicht, riss die Autotür auf und stieg aus.
    Ich blieb regungslos sitzen und beobachtete sie im Rückspiegel.
    Ich sah, wie sie zu Navarra ging und mit ihm im Inneren der Polizeikaserne verschwand.
    Erst dann wischte ich mein Gesicht ab und fuhr weg.

38
    E in paar Minuten lang hatte ich daran gedacht, Fornelli anzurufen, ihm zu erzählen, was ich entdeckt hatte, und ihm die Aufgabe zu überlassen, Manuelas Eltern zu informieren.
    Im Grunde hatte ich den Auftrag erledigt, den sie mir gegeben hatten. Ich hatte sogar noch mehr getan. Sie hatten mich lediglich gebeten, nach möglichen Ansatzpunkten für weitere Nachforschungen durch die Staatsanwaltschaft zu suchen, damit der Fall nicht zu den Akten gelegt wurde. Ich war weiter gegangen, hatte selbst Nachforschungen angestellt und dadurch den Fall gelöst. Damit hatte ich meinen Auftrag mehr als erfüllt.
    Es war nicht meine Aufgabe, zu Manuelas Eltern zu gehen und ihnen das Schicksal ihrer Tochter zu schildern.
    Ein paar Minuten lang dachte ich das wie gesagt. In diesen Minuten nahm ich mehrmals das Telefon, um Fornelli anzurufen, und ließ es jedes Mal wieder sein. Ich dachte viel nach. Und schließlich fiel mir ein, wie Carmelo Tancredi mich vor etwa zwei Jahren zu einer Fahrt auf seinem Boot eingeladen hatte.
    Es war Ende Mai gewesen, das Meer war glatt, das Licht milchig.
    Wir fuhren von der San-Nicola-Mole ab, Richtung Norden, und landeten nach etwa einer Stunde im alten Hafen von Giovinazzo. Der Ort war irreal, beinahe metaphysisch, ohne irgendwelche Spuren der letzten zwei, drei Jahrhunderte. Man sah keine Autos, keine Antennen, keine Motorboote. Nur Ruderboote, alte Forts, Jungs in Unterhosen, die ins Wasser sprangen, und große Möwen, die einsam und elegant ihre Kreise zogen.
    Wir aßen Pizzabrot, tranken Bier, sonnten uns und redeten eine Menge. Wie es manchmal passiert, kamen wir von bedeutungslosem Geplauder auf ganz wesentliche Themen.
    »Hast du Regeln, Guido?«, fragte mich Tancredi irgendwann.
    »Regeln? Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Nicht bewusst, meine ich. Aber doch, ich glaube schon. Und du?«
    »Ja, ich auch.«
    »Was sind deine?«
    »Ich bin Bulle. Die erste Regel für einen Bullen ist, dass man die Menschen, mit denen man beruflich zu tun hat, nicht demütigen soll. Macht über andere zu haben, ist etwas Obszönes, und die einzige Art, das erträglich zu machen, ist der Respekt. Das ist die wichtigste und zugleich schwerste Regel für mich. Und für dich?«
    »Adorno sagte einmal, es gehöre zur Moral, nicht mal bei sich selbst zu Hause zu sein. Das finde ich auch. Man sollte sich niemals allzu wohl fühlen. Man sollte immer ein wenig fehl am Platz sein.«
    »Richtig. Eine andere meiner Regeln betrifft das Lügen. Man sollte die anderen so wenig wie möglich anlügen. Und sich selbst gar nicht.«
    Und nach einer kleinen Denkpause: »Was natürlich unmöglich ist, aber man sollte es wenigstens versuchen.«
    Wir ließen den Hafen, der vom matten Licht der Maihitze erfüllt war, hinter uns und näherten uns den Lichtern der Stadt und dem chaotischen Abendverkehr. Tancredis Worte begleiteten mich bis in mein Auto, wo sie in der Luft hängen blieben.
    Du machst dir in die Hosen bei dem Gedanken, Manuelas Eltern zu treffen und ihnen zu sagen, was passiert ist. Also suchst du nach Ausreden und lügst. Sogar
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