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Große Liebe Desiree

Titel: Große Liebe Desiree
Autoren: Mirinda Jarett
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war ein hastiges Abendessen gewesen, in dessen Verlauf sie zwei selbstgefälligen Krämern hatte zuhören müssen, die ihre Familie als Kunden gewinnen wollten. Alles, wonach es sie jetzt verlangte, war eine Kanne heißer Schokolade und die Zuflucht ihres eigenen, bequemen Bettes.
    »Ich habe schon das Essen mit meiner Großmutter verpaßt«, fuhr sie fort, schlug die Bücher zu und verschloß das Tintenfaß für die Nacht. »Und du weißt, das sie Geschäftsbesucher so spät nicht duldet. Außer es ist wirklich dringend. Außer - er bringt vielleicht Neuigkeiten über meinen Bruder?«
    Sie konnte einen Anflug von Hoffnung nicht aus ihrer Stimme verbannen, einer Hoffnung, die Zeb sogleich zerstörte. »Nein, Miss, dieser Herr gewiß nicht«, sagte er überzeugt, während er mit dem Daumen in Richtung Halle wies. »Und wenn wir jemals wieder von Käpt’n Obadiah hören, dann wird es nicht von einem komischen ausländischen Herrn wie diesem sein.«
    »Nein, vermutlich nicht«, sagte sie unglücklich. Ihr jüngster Bruder war nun seit sechs Monaten von zu Hause fort, ohne ein Wort von sich hören zu lassen, viel zu lange für eine einfache Reise von Boulogne nach Providence. Sie versuchte einmal mehr, sich selbst einzureden, daß auf See alle Tage Wunder geschahen, daß Obadiah bald durch die Tür treten würde, frohgelaunt mit einem Lachen und einer Entschuldigung für seine Verspätung. Aber tief im Innern wußte sie, daß Stürme und Schiffswracks viel häufiger waren als Wunder, genauso wie sie wußte, daß sie und ihre Großmutter die einzigen beiden Menschen in Providence waren, die den jüngsten Kapitän Sparhawk noch nicht aufgegeben hatten.
    Seufzend brachte sie ihre Gedanken zurück in die Gegenwart, zu Zeb und dem Mann, der in der Halle wartete. »Hat er dir seinen Namen gesagt?«
    »Nein, Miss, dazu ist er zu fein.« Zeb rümpfte die Nase mit offensichtlicher Verachtung. Ganz egal, wie sehr ihre Großmutter sich bemühte, aus Zeb einen vorzeigbaren Diener zu machen, er würde stets zuviel von der freimütigen Unabhängigkeit eines Yankee-Seemannes haben, um seine Meinung für sich zu behalten, wie es sich gehörte. »Aber er hat gesagt, daß er weit gereist sei, und er hat ausdrücklich nach Ihnen gefragt. Er ist nicht aus New England, das ist ganz sicher.«
    »Und er ist ein Gentleman?« Dieses eine Mal hoffte sie, daß Zebs Einschätzung falsch sein möge. Gentlemen waren Schiffseigner, Kapitäne und Fabrikanten, Männer, die mehr Gastfreundschaft erwarteten, als sie heute abend zu geben bereit war. Gedankenverloren rieb sie sich die Arme in der kalten Luft und bemerkte zum erstenmal, daß es draußen schneite.
    »Ein Gentleman«, antwortete Zeb und nickte entschlossen. »Den werden Sie nicht in der Halle abfertigen können.«
    »Dann lasse ich ihn am besten nicht länger warten, oder? Führ ihn in den Salon, Zeb, und leg noch ein Scheit ins Feuer, falls nötig. Und bring auch Rotwein, oder Rum, wenn ihm das lieber ist. Ich werde gleich dasein.«
    Als Zeb davonhumpelte, streifte Désirée schnell die fingerlosen Handschuhe ab, die sie gegen die Kälte trug, stopfte sie in ihre Tasche und versuchte vergeblich, die blauen Tintenflecken von ihrem rechten Zeigefinger abzureiben. Sie blickte auf ihr Bild im Spiegel neben der Tür und verzog das Gesicht. Sie hatte das schwarze Haar, die helle Haut und die grünen Augen aller Sparhawks, aber jetzt waren ihre Wangen blaß vor Erschöpfung, und dunkle Ringen lagen unter ihren Augen.
    Himmel, sie sah müde aus. Man sah ihr jeden einzelnen Tag ihrer sechsundzwanzig Jahre an. Sie versuchte, die Strähnen zurückzustreichen, die aus ihrem Haarknoten gerutscht waren, trat dann vom Spiegel weg und glättete die Falten in ihrem roten Wollkleid.
    Der gerade Stil mit der hohen Taille paßte gut zu ihrer Größe, und Scharlachrot war gewöhnlich ihre vorteilhafteste Farbe, aber heute abend nützte selbst das nichts mehr. Der Mann würde sie einfach so akzeptieren müssen, wie sie war. Mit einem bitteren Seufzer nahm sie ihr Umschlagtuch von der Stuhllehne, wo sie es vorhin hingeworfen hatte, schlang es sich um die Schultern und machte sich auf den Weg vom Büro in den Salon.
    Zu Désirées Überraschung drehte der Fremde sich nicht um, als sie die Tür öffnete. Statt dessen blieb er mit dem Rücken zu ihr am Kamin stehen, sein dunkelblauer Mantel, auf dem die Schneeflocken nasse Flecken hinterlassen hatten, war noch immer zugeknöpft, während der die Hände über das
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