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Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Titel: Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba
Autoren: Christoph Hardebusch
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es ein Blitz war, der die Tiere ums Leben brachte, und nehmen wir uns die Anmerkungen zu Herzen, die wir gerade gehört haben. Es werden einige Umbaumaßnahmen erforderlich sein, wenn wir einem Gewitter dieser Stärke künftig standhalten wollen, und …«
    »Aber es ist kein Blitz gewesen!« Rima stockte der Atem, als sie merkte, dass sie ihren Gedanken ausgesprochen hatte – laut genug im Übrigen, um Arok auf seinem Platz zusammenzucken zu lassen. Im selben Moment fielen die ersten Regentropfen durch die Blätter der Linde und landeten direkt auf Aroks Stirn. Der zweite Punkt auf seiner Liste war erfüllt, und während sein Gesicht sich so sehr verfinsterte, dass Schatten in seine Augen traten, fiel Rima noch ein weiterer ein. Viertens: Arok hasste es, unterbrochen zu werden. Er hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu erwidern, doch sie fuhr eilig fort: »Ich weiß, dass da etwas war! Ich habe es gefühlt, irgendetwas ist in unserem Wald und beobachtet uns, auch wenn wir es nicht sehen! Wir sollten das Unterholz absuchen, am besten noch heute Nacht, und …«
    Da landete Aroks Faust auf dem Tisch, dass die Regentropfen nur so aufstoben. »Verflucht noch mal«, grollte er und funkelte Rima zornig an. »Kein Halbling wird auf die Idee kommen, mitten in der Nacht durch den Wald zu spazieren, ganz besonders dann nicht, wenn es dafür keinen Anlass gibt! Die Zeit für Ausflüge dieser Art ist vorbei, das solltest du wissen!« Er hielt inne, als Rima seinen Blick ungerührt erwiderte. Sie wusste, dass er auf ihre verbotenen Wanderungen in den Wald anspielte, dass er nichts anderes hatte sagen wollen als das – und doch lag mehr in seinen Worten, so viel mehr, dass sie die Zähne aufeinanderpressen musste, um keine Regung zu zeigen. Ihr Vater hätte nicht gezögert. Er wäre noch in dieser Nacht in den Wald gegangen, allein und ohne Fackel wenn nötig, und er hätte sich nicht gefürchtet vor der Dunkelheit, die dort auf ihn wartete. Ja, er hätte sich auf einen Ausflug begeben. Doch seine Zeit war in der Tat vorbei.
    Arok holte tief Luft. Ein sanfter Schimmer trat in seinen Blick, als er begriff, was er gesagt hatte, und er fuhr leiser fort: »Ich kann verstehen, dass du aufgeregt bist wegen der Ereignisse. Aber wir haben eine Erklärung gefunden, und dabei werden wir es belassen.«
    Rima schüttelte den Kopf. Sie suchte nach einer Entgegnung, nach irgendetwas, das sie sagen konnte, um diese verfluchte Gelassenheit aus Aroks Blick zu vertreiben, doch noch ehe ihr etwas einfiel, hallte eine Stimme über die Köpfe hinweg, eine Stimme wie glühender Wüstensand.
    Narren.
    War das Wort tatsächlich laut ausgesprochen worden? Oder war es, von einem namenlosen Sturm getragen, direkt in Rimas Gedanken gelandet? Sie wusste es nicht, doch kaum hatte sie den Kopf gedreht, da erspähte sie eine Gestalt, die am Rand des Marktplatzes stand. Ein Mann zu Pferd war es, den Körper in einen dunklen Umhang gehüllt, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen. Neben ihm hockte ein räudiger Köter, schwarz wie Teer, und der Reiter saß so regungslos, dass Rima den Eindruck hatte, er wäre ein Riss in ihrer Wirklichkeit, der sie in eine andere Welt schauen ließ – eine Welt, die für sie nicht mehr war als wirbelndes schwarzes Licht.
    Habt ihr die Flammen des Himmels nicht auf eurer Haut gespürt?, hörte sie die Stimme des Fremden in ihrem Kopf, und als zahlreiche Halblinge erschrocken zusammenfuhren, wusste sie, dass seine Worte nicht nur in ihre Gedanken eindrangen. Habt ihr es nicht gehört, das Innehalten vor einem gewaltigen Sturm? Könnt ihr es nicht fühlen, das Grollen im Erdboden, das eure kleinen Häuser zum Schwanken bringt und eure Schritte taumeln lässt? Spürt ihr nicht die Dunkelheit auf eurer Stirn, die Finsternis, die euch belauert? Seid ihr blind und taub? Wisst ihr wirklich nicht, welche Bestie sich in eure Mitte geschlichen hat?
    Arok fixierte den Fremden mit seinem Blick, als könnte er ihn auf diese Weise von seinem Pferd reißen. »Es gibt keine Bestien mehr in der Bekannten Welt«, rief er über den Platz. »Kommt näher, damit ich Euch ins Gesicht sehen kann, und lasst Euch nicht einfallen, mich noch einmal zu beleidigen!«
    Der Fremde neigte leicht den Kopf. Rima meinte, ihn lachen zu hören, wispernd wie das Zischeln einer Schlange. Dann trieb er sein Pferd voran. Die Halblinge wichen vor ihm zurück wie vor einer Erscheinung, während die Hufe bei der Berührung mit den Steinen gläserne Töne über den
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