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Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Titel: Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba
Autoren: Christoph Hardebusch
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Markt schickten und der Hund ihm lautlos nachschlich. Vor dem steinernen Tisch blieb der Fremde stehen. Seine Kleidung war pechschwarz und ohne jedes Wappen, doch das Schwert an seinem Gürtel schimmerte leicht, und Rima bemerkte die Messer, die er an Riemen um die Stiefel trug.
    »Es gibt mehr Welten als jene, die euch bekannt dünken«, sagte er leise. »Ihr kennt die Schatten nicht, ich aber weiß, wozu sie fähig sind. Ich habe die Schafe gesehen, die verbrannte Erde, das Blut. Ich habe die Dunkelheit des Waldes auf der Haut gespürt, und ich sage euch: Das wird erst der Anfang gewesen sein, wenn ihr dieser Finsternis nicht Einhalt gebietet.«
    Arok stieß die Luft aus. »Wer seid Ihr, dass Ihr glaubt, besser über mein Tal Bescheid zu wissen als ich?«
    Für einen Moment wurde es totenstill. Rima konnte den Wind in den Blättern des Baumes hören, und sie fühlte ihren Herzschlag in den Schläfen, so regungslos schaute der Fremde aus dem Dunkel auf sie nieder. Dann streifte er sich die Kapuze vom Kopf. Kurz zuckte sie zusammen, denn aus irgendeinem Grund hatte sie erwartet, eine Schreckensfratze zu sehen. Stattdessen blickte sie in das schmale, scharfkantige Gesicht eines Menschen. Die wettergegerbte Haut spannte sich über der Adlernase, und sein an den Schläfen bereits merklich ergrautes Haar fiel bis auf seine Schultern hinab. Eine Narbe zog sich quer über seine rechte Wange, eine Narbe wie von einem Klauenschlag, doch all das nahm Rima wie durch einen Schleier wahr. Ihr Blick hing an seinen Augen, die schwarz waren wie frisch geronnenes Blut und ein Wissen in sich bargen, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Diese Augen hatten mehr gesehen als Sturm und Wüstensand, das wusste sie auf Anhieb. Sie hatten der Schwarzen Harpyie Raskatons ins Angesicht geschaut, hatten dem Abgrund der Dornenschlucht getrotzt und niemals eine Finsternis gefürchtet, weil sie selbst dunkler waren als jede Nacht, die sie umgeben konnte. Der Blick des Fremden traf sie, und sie spürte seinen Namen auf ihren Lippen. Sie hatte ihn schon oft gehört, an den Feuern der Frühlingsfeste und in den Legenden der Menschen, die ihr Dorf durchflogen wie Vogelschwärme, und sie hatte ihn gelesen, wieder und wieder in den Büchern ihres Vaters. Kaum hörbar sprach sie ihn aus, trotzdem breitete er sich wie von Rabenschwingen getragen über den Platz aus.
    »Kayron von Barkaros«, flüsterte sie. »Krieger der Zwölf Monde und Hüter des Blinden Feuers, der in die Finsternis der Welt hinabstieg, um ihr das Herz zu stehlen. Er trank von ihrer Dunkelheit und trägt sie in seinen Augen, und er fiel durch Tag und Nacht, ehe er wurde, der er ist: ein Jäger der Schatten.«
    Das Raunen auf dem Platz wurde so laut, dass Arok verärgert die Faust auf den Tisch niedersausen ließ, aber niemand achtete auf ihn, bis Kayron zustimmend den Kopf neigte. Ein leichtes Lächeln glitt über sein Gesicht und entfachte ein Glimmen in seinen Augen, das die Schatten darin tanzen ließ. Kurz ließ er den Blick noch auf Rima ruhen; dabei beschlich sie das Gefühl, er könnte mit einem Wimpernschlag jedes Wort auf ihrer Zunge zu Asche verbrennen lassen. Dann wandte er sich an Arok.
    »Ich kenne die Dunkelheit besser als ihr«, sagte er ruhig. »Und es ist mir gleich, wo sie sich vor mir versteckt. Ich weiß, dass euer Volk nicht zu den Jägern gehört, und ich weiß auch, dass mit höchstem Erlass der Hauptstadt jede Jagd auf eurem Boden verboten ist. Doch ich kann euch beistehen, wenn ihr es mir gestattet. Ich kann die Bestie fangen, die in der Dunkelheit lauert.«
    »Seit Jahren ist es zu keiner Jagd gekommen im Kleinen Tal«, erwiderte Arok zögernd. »Und der Friede ist uns heilig. Es gibt hier doch nichts als Wildschweine und Wölfe.« Er schaute zu dem Hund, der an der Seite des Jägers saß, reglos und mit einem seltsam starren Blick, der Rima einen Schauer über den Rücken schickte.
    »Glaubt ihr wirklich, dass es Wildschweine und Wölfe waren, die eure Schafe gerissen haben? Oder ein lächerlicher Blitz?«, fragte Kayron und betrachtete die Apparatur von Ignyon, als hätte er noch nie etwas Bemitleidenswerteres gesehen. »Wie soll ein Blitz den Schafen die Haut abgezogen haben? Wie hat er ihre Augen vereist und ihre Knochen im Inneren bersten lassen? Wie? Das frage ich euch!«
    Ignyon beugte sich vor und machte ein Gesicht, das in Rima keine Zweifel daran aufkommen ließ, dass er auch auf diese Fragen Antworten haben würde. Allerdings befriedigten
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