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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens
Autoren: Michael Lutz
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Ansammlung schwer voneinander zu unterscheidender Grautöne,
die alles andere darstellten als ein festes, sicheres Ziel. Gromek dagegen
hatte in ihm einen Fixpunkt, an dem er sich orientieren, auf den er sich
einfach nur so schnell wie möglich zuzubewegen brauchte. Viktor Kilar war sich
noch nicht einmal sicher, ob er geradeaus oder im Kreis fuhr. Plötzlich besann
er sich darauf, dass er eine Waffe im Hosenbund stecken hatte.
    Er umfasste den von Spritzwasser feucht gewordenen Griff der dem
BKA-Mann entwendeten Pistole und begann, auf Gromek zu feuern.
    Die erste Kugel schlug dicht neben Gromek in der obersten Planke
ein. Die zweite hörte er knapp an seinem Kopf vorbeizischen. Hastig ließ er
sich auf den Boden des Fahrzeugs fallen, in dem das Wasser inzwischen munter
plätschernde drei Zentimeter hoch stand. Vorsichtig hob er den Kopf, gerade so
weit, dass er über den Bootsrand sehen konnte. Er wusste nicht, über wie viele
Patronen Kilar noch verfügte.
    Gromek verzog das Gesicht. Er konnte abwarten, bis Kilar seine
Munition verschossen hatte. Andererseits war er sich der Tatsache bewusst, dass
er diesen Zeitpunkt nicht exakt bestimmen konnte. Wenn er also nicht länger
riskieren wollte, von einer der Kugeln getroffen zu werden, gab es nur einen
Ausweg: Er musste Viktor Kilar daran hindern, weiter auf ihn zu schießen.
     
    »Ihr wollt es einfach nicht mehr wahrhaben!« von Eckersdorff war
sichtlich erregt. »Der Zweite Weltkrieg ist lange vorbei. Die DDR gibt es nicht
mehr. Russland liegt am Boden. Aber die unsichtbare Front - die existiert immer
noch!«
    Innenminister Steinhammer setzte an, etwas zu sagen, doch Herrmann
von Eckersdorff schnitt ihm das Wort ab.
    »Nein, Hubertus, jetzt rede ich. Ihr Politiker seid doch alle
gleich! Ein Geheimdienst, das ist ja schon fast unanständig. Damit wollt ihr
alle nichts zu tun haben. Hättest Du wenigstens die Wochenberichte gelesen!
Aber davon wolltest Du nichts wissen.«
    Bei diesen Worten lief nicht nur von Eckersdorff' Gesicht langsam
rot an. Auch der Innenminister kam nun in Rage.
    »Jetzt mach' aber mal einen Punkt!« wies er von Eckersdorff mit
einer plötzlichen Schärfe zurecht, der man unschwer entnehmen konnte, dass ihm
der Inhalt seiner Worte nicht gefiel. »Ich habe Dir vertraut, Herrmann! Ich
habe Dir vertraut!«
    Mehr brachte er in dem Moment nicht heraus.
    Von Eckersdorff entfuhr ein Schnauben. »Ein schönes Vertrauen,
wirklich! Ich schicke meine Leute los wie ein General, der seine Soldaten in
den Krieg schickt. Die vertrauen mir. Die riskieren alles. Das ist eine Sache
auf Leben und Tod! Und wofür? Aus Gründen der Staatsräson! ›Töte einen
Menschen, der 100 andere töten will, und Du kannst eine Vielzahl von Leben retten.‹
Und diese unbestimmte ›Vielzahl‹, das sind Menschen, die einem Attentat
entgehen. Diese ›Vielzahl‹ sind die Bevölkerung unseres Landes. Zu dieser ›Vielzahl‹,
die gerettet werden, Hubertus, zu diesen ›Vielen‹ gehörst auch Du!«
    Innenminister Steinhammer war blass geworden, während die Stimme
von Herrmann von Eckersdorff immer leiser wurde: »Und was ist euer Dank, Hubertus?
Das hier?!«
    Der Innenminister schluckte, bevor er antworten konnte. Zum ersten
Mal, seit er ihn kannte, hatte Herrmann von Eckersdorff den harten, glänzenden
Blick eines Mannes, der sein Lebenswerk verteidigen musste, das vielleicht auch
seine Lebenslüge war. Was hier stattfand, war ein Zweikampf, Mann gegen Mann.
Ein Duell mit Worten. Ein Duell, das er, Steinhammer, gewinnen musste, denn
hier stand mehr auf dem Spiel als eine persönliche Weltanschauung. Hier ging es
um die moralischen Grundpfeiler der Demokratie ihres Landes.
    »Ich habe Dir vertraut, Herrmann«, wiederholte er. »Ich habe immer
viel von Dir gehalten, immer auf dein Verständnis unserer Staatsform gebaut. Du
hast mir nie Anlass zum Zweifeln gegeben. Vielleicht habe ich Dir in einigen
Dingen eine zu freie Hand gelassen. Ich weiß es nicht.«
    Er holte tief Luft, bevor er weitersprach.
    »Aber eines weiß ich wohl: Was Du hier ins Rollen gebracht hast,
ist mit Gründen der Staatsräson nicht mehr entschuldbar. Du hast dein Amt missbraucht,
Herrmann. Was Du getan hast, war abscheulich und menschenverachtend. Dazu
hattest Du kein Recht!«
    In Herrmann von Eckersdorff' Gesicht zuckte es bei jedem dieser
Sätze, als hätten unsichtbare Peitschenhiebe ihn getroffen. Der harte Glanz in
seinen Augen erlosch. Kaum merklich sackten seine Schultern nach unten, bevor
sie sich
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