Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens
Autoren: Michael Lutz
Vom Netzwerk:
Wänden und unter dem Dach waren
einige Ruderboote aufgehängt, deren Lackierung bereits abblätterte. Es roch
nach bröckligen Wasser und faulendem Holz.
    Kilar sprang in das erstbeste Boot. Er steckte die Waffe in den
Hosenbund und zog ungeduldig an der Startleine des Außenborders. Mit der
zweiten Hand löste er das nasse, glitschige Tau, das um einen verrosteten
Eisenring geknotet war.
     
    Auch Gromek hatten die Stolperdrähte Zeit und Mühe gekostet. Er
war beinahe an dem Bootshaus angekommen, als er hörte, wie Kilar den Motor
eines Bootes zu starten versuchte. Im ersten Moment glaubte er, Kilar würde
ihm entkommen. Doch der Motor wollte nicht anspringen. Immer wieder erstarb er
nach einem fulminanten Aufheulen.
    Hastig stieß Gromek die in rostigen Angeln quietschende Tür auf
und rief in das dunkle Innere: »Viktor Kilar, ergeben Sie sich! Dann passiert
Ihnen nichts!«
    Die Antwort war eine Kugel, die knapp über seinem Kopf in einen
Balken einschlug. Mit einem Sprung hinter einen breiten Eckpfeiler brachte
Gromek sich in Deckung. Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, wie sich ein
Dutzend flackernder Taschenlampen durch den Tannenwald bohrte, gespenstischen
Lichtfingern gleich. Ihm würde nicht mehr viel Zeit bleiben, um Kilar allein zu
stellen - Mann gegen Mann. Doch das wollte er sich auf keinen Fall nehmen
lassen.
     
    Im Salon sprach niemand ein Wort.
    Einer der Leibwächter spielte mit der roten und der weißen Kugel.
Der andere rieb liebevoll die lederüberzogene Spitze seines Queues mit Kreide
ein. Platzynski stand an der Tür und hatte die Dynamik einer Ritterrüstung. Dem
Referenten, der von Eckersdorff am nächsten war, rutschte ein goldener
Kugelschreiber aus den Fingern und klapperte zu Boden. Lisa bemerkte, dass sie
sich in ihrer Kellnerinnen-Uniform unwohl fühlte. Am liebsten hätte sie sich
auf der Stelle umgezogen und die seltsame fremde Kleidung in dem verrußten
Kamin verbrannt.
    Der Blick des Innenministers ruhte auf von Eckersdorff.
    »Also, wie ist das, Herrmann? Erzähl' mir von dem
Assassinen-Programm, das es da in deiner Behörde geben soll, wie mir Agentin
Delius glaubhaft berichtet hat. Ich bin sehr neugierig. Ich möchte alles
darüber erfahren. Und wenn Du damit fertig bist, würde ich gern hören, welche
Beziehung mein Referent Stephan Freiherr von Hohenfels-Selm zur Sektion-4 hatte.«
     
    »Verdammter Mist!« fluchte Gromek, als er hörte, wie der Motor,
spuckend und keuchend, doch noch ansprang. Er riss die Tür erneut auf und
stürzte in das Bootshaus, nur um mit anzusehen, wie Kilar in die Dunkelheit
hinaus schoss, eine dunkle Gestalt vor dem rasch dunkler werdenden Himmel.
    Michael Gromek sprang in das nächste Boot und zog an der Leine.
    Nichts geschah.
    Er stemmte seinen linken Fuß gegen das Heck, riss ein zweites, ein
drittes und ein viertes Mal an der Startleine, bevor der Außenborder aufröhrte.
Gromek setzte sich. Er stellte die höchstmögliche Geschwindigkeit ein, so dass
das Boot mit einem gewaltigen Ruck vorwärtsschnellte, den Bug weit aus dem
Wasser gehoben.
    Das einzige, was er von Kilar noch sehen konnte, waren die weiße
Abdeckhaube von dessen Außenborder und das hell aufschäumende Kielwasser.
Deshalb verließ er sich weitgehend auf sein Gehör, während er Viktor Kilar nun
auf dem Wasser verfolgte.
    Der sah sich fortwährend nach Gromek um. Sein Vorsprung war groß,
aber nicht groß genug. In der zunehmenden Dunkelheit konnte er nicht genau
erkennen, wie weit das andere Ufer entfernt war und was ihn dort erwartete. Er
war in diesem Moment von einem einzigen Gedanken beherrscht: »Weiter, weiter!
Nur nicht anhalten. Immer in Bewegung bleiben.«
    Gromek machte gute Fahrt. Die Schraube seines Motors pflügte sich
durch den nächtlichen See. Der Bootskörper hob sich in regelmäßigen Abständen
aus dem Wasser, um gleich darauf mit einem harten Schnalzlaut auf die
Oberfläche des Gewässers zurückzufallen.
    In seiner Hast und dadurch, dass er sich öfter umsah, als es nötig
gewesen wäre, bemerkte Kilar nicht, dass er inzwischen zu einem weiten Bogen
angesetzt hatte. Mit einem Schwenk des Motors korrigierte Gromek seinen eigenen
Kurs auf eine gerade Linie.
    Seine Rechnung ging auf. Die Distanz verringerte sich.
    Mit Entsetzen stellte Kilar fest, dass Gromek näherkam. Er konnte
schon den Umriss seines Körpers erkennen. Einen Moment lang fühlte Kilar sich
wie ein gehetztes Tier. Er wusste, dass er im Nachteil war: Vor sich hatte er
nur eine düstere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher