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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens
Autoren: Michael Lutz
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Bowler entgegen und half ihm aus dem Mantel. Daraufhin verschwand er
unauffällig.
    Die Halle, in der von Eckersdorff nun stand, wurde beherrscht von
zwei Aufgängen, die sich links und rechts zur Galerie emporschwangen. Sie waren
mit dicken, blutroten Teppichen belegt, die Spuren jahrzehntelanger Benutzung
aufwiesen. Geländer von feinster schmiedeeiserner Handwerkskunst zogen sich an
den Aufgängen nach oben. Gemälde in schweren Goldrahmen, welche die Portraits
von Grafen, Herzoginnen und Edelmännern im Waffenrock zeigten, ließen die Mühe
des Treppensteigens in Vergessenheit geraten.
    Von Eckersdorff durchquerte die Halle mit festem, widerhallendem
Schritt und öffnete eine von mehreren identisch aussehenden Türen an der
gegenüber liegenden Seite. Er betrat ein weiträumiges Konferenz-Zimmer, das von
einem pechschwarzen Eichentisch beherrscht wurde, an dem mühelos 20 Personen
Platz finden konnten. Als ob er dort zu Hause wäre, schritt er zielstrebig zu
einer kleinen Bar in einer Ecke des Raumes, griff, ohne eine Alternative zu
erwägen, nach einer Flasche amerikanischem Whiskey und schenkte sich großzügig
ein.
    Anschließend trat er gemächlich an ein zimmerhohes Fenster, teilte
mit einer Hand den von der Sonne beschienenen Vorhang und genoss den Ausblick
über den See. Er sah, wie der Morgendunst vom Wasser aufstieg und sich
gleichzeitig ein munteres Lüftchen erhob. Ein einsames Motorboot näherte sich
einem Bootshaus, dessen Steg beinahe im See zu versinken schien. Das Tuckern
des Außenbord-Motors drang gerade noch vernehmbar an sein Ohr.
    In genussvoller Erwartung spitzte von Eckersdorff die Lippen und
führte das Glas zum Mund. Doch mitten in der Bewegung stockte er. Für einen
Moment hatte es den Anschein, als spiele er einen Pantomimen, dem entfallen
war, welche Szene er als nächste spielen musste. Dann griff sich Herrmann von
Eckersdorff - Direktor von Sektion4 , des neben BND , Bundesamt
für Verfassungsschutz und MAD vierten und mit Abstand geheimsten
deutschen Nachrichtendienstes - mit der freien Hand an die Brust. Er krallte
die Finger zu einer Klaue zusammen, bis die Knöchel weiß hervortraten. Er
taumelte, wankte auf den Konferenztisch zu, fiel auf halbem Weg auf die Knie
und dann zu Boden. Das Whiskeyglas prallte geräuschlos auf den Teppich, und die
bernsteinfarbene Flüssigkeit wurde innerhalb von wenigen Sekunden vollständig
aufgesogen.
     
    Eine halbe Stunde später trat ein hagerer Mann mittleren Alters
aus dem Konferenzzimmer. Er blickte sich flüchtig um, dann setzte er sich
kurzerhand auf ein zerbrechlich wirkendes Kanapee, öffnete seinen Arztkoffer
und holte sein Mobiltelefon heraus. Er tippte eine Nummer ein und wartete, bis
jemand am anderen Ende den Hörer abnahm. Flüsternd berichtete er seinem
Gesprächspartner, von Eckersdorff habe noch einmal Glück gehabt.
    »Er hat einen leichten
Herzinfarkt erlitten. ... Nein, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich dieser
Vorfall wiederholen wird. Von Eckersdorff ist ein starker Raucher, er leidet
unter Bluthochdruck. ... Das habe ich ihm auch mitgeteilt. ... Seine
Dienstfähigkeit?!« Der Arzt klang ärgerlich. »Ja, die habe ich ihm noch einmal
bescheinigt. Das ist allerdings das letzte Mal«, betonte er. »Direktor von
Eckersdorff weiß das. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«

 
     
     
     
DREI MONATE SPÄTER
     

1 .  Brüssel
     
    Eskortiert von Motorrad-Polizisten, fuhren vor dem Brüsseler
Hauptsitz der Europäischen Union dunkle Limousinen im Sekundentakt vor. Im
strömenden Sommerregen rauschten die Polizisten in Formation davon. Andere
Motorrad-Staffeln lieferten weitere Limousinen ab. Europäische Minister und
Spitzenbeamte stiegen aus den Fahrzeugen, Türen und Kofferraumdeckel wurden
geöffnet und geschlossen. So manche Hand wurde schon vor der offiziellen Begrüßung
freundschaftlich geschüttelt. Man kannte sich von früheren Konferenzen und
Zusammenkünften. Sicherheitsbeamte, Assistenten und Referenten der Politiker,
Dolmetscher, Protokollbeamte, Chauffeure, Fernsehteams und Journalisten
verliehen den zur Routine gewordenen Treffen einen Anklang von Spektakel,
Bedeutsamkeit und historischer Dimension.
    In der einen Hand das
Mikrofon, in der anderen einen durchsichtigen Regenschirm, blickte die
langjährige Vor-Ort-Korrespondentin des amerikanischen Nachrichtensenders CNN in die Fernsehkamera und kommentierte angespannt und dennoch routiniert und
selbstsicher das Eintreffen des deutschen
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