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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens
Autoren: Michael Lutz
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worden. Was nur wenige Menschen wussten
und auch von den Angestellten der BodenGrund niemand ahnte: Das Hochhaus war
der geheime Sitz der Sektion¬4 .
    1964 gegründet und bis zum Umzug nach Berlin in der Nähe von Bonn
beheimatet, war die Sektion¬4 neben dem Bundesnachrichtendienst ,
dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesamt für Verfassungsschutz der jüngste der deutschen Nachrichtendienste. Anders als seine dem
Bundeskanzler beziehungsweise dem Verteidigungsminister untergeordneten
Schwesterdienste BND und MAD , war die Sektion¬4 , genauso
wie das Bundesamt für Verfassungsschutz , dem Innenministerium
angeschlossen. Nur hatte die Sektion¬4 im Vergleich zum
Verfassungsschutz, der ohne jegliche polizeilichen Befugnisse auskommen muss,
weitaus mehr Möglichkeiten. Eine flache Hierarchie sorgte zudem dafür, dass Herrmann
von Eckersdorff, erst der dritte Direktor in der Geschichte der Behörde, nur
einer Person direkt unterstellt war: Innenminister Dr. Hubertus Steinhammer.
    Die Sektion¬4 war ein Kind des Kalten Krieges. Sie war zu
dem Zweck aus der Taufe gehoben worden, dem immer erfolgreicher agierenden
ostdeutschen Geheimdienst - der Hauptverwaltung Aufklärung also, der
Auslandsspionageabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit -
entgegenzuwirken. Vor allem den Machenschaften des Leiters der HVA sollte ein Riegel vorgeschoben werden: dem legendären Markus Wolf, dessen
»Offizieren im besonderen Einsatz«, die zu Tausenden auf die Bundesrepublik
Deutschland angesetzt waren, auf Dauer nichts verborgen blieb. Zudem hatte der
»Friedensstaat DDR« unter Erich Mielke, seinerzeit Minister für
Staatssicherheit, seit Anfang der 1960er Jahre eine spezielle Untergrundarmee
aufgebaut. Die Aufgabe dieser 3.500 Personen starken Abteilung war es gewesen,
mit Hilfe eines Netzes von sogenannten Inoffiziellen Mitarbeitern die
Infrastruktur Westdeutschlands auszuspionieren und für Sabotageakte
vorzubereiten. Im Kriegsfall hätten so die ostdeutschen Militärs die
Möglichkeit besessen, Atommeiler, Wasserkraftwerke sowie Einrichtungen der NATO
und der Bundeswehr auf einen Schlag zu zerstören. Diesen wie Partisanen
organisierten Einsatzgruppen galt das besondere Augenmerk der Sektion¬4 .
     
    Michael Gromek, 45 Jahre alt, mit dunkelbraunen Haaren, markanten
Gesichtszügen und einer ansehnlichen Statur von einem Meter sechsundachtzig,
trat scheinbar sorglos aus dem Fahrstuhl in die Empfangshalle der BodenGrund-Versicherung.
Als er auf die mit zwei Wachmännern besetzte Loge zuging, ertönte aus einem
kleinen TV-Empfänger, den die Wachleute zur Überbrückung einsamer
Dienststunden installiert hatten, die Stimme der CNN -Korrespondentin mit
einem Live-Bericht aus Brüssel:
    »... Bei dem diesjährigen Treffen der europäischen Innenminister
ist es kurz nach der Eröffnung der Konferenz zu einem Zwischenfall gekommen,
der eine ganze Reihe von Teilnehmern dazu veranlasst hat, vorzeitig wieder
abzureisen. Soweit bisher bekannt, wurde ein Mitglied der deutschen Delegation
tot im Konferenzgebäude aufgefunden - wahrscheinlich ermordet. Über die genauen
Umstände der Tat liegen noch keine näheren Informationen vor. Wir halten Sie
auf dem Laufenden. Im Anschluss an die Werbung setzen wir unsere
Live-Berichterstattung fort.«
    Mit einem flüchtigen Kopfnicken und einem nur angedeuteten, aber
sympathischen Lächeln verabschiedete Gromek sich von den Wachmännern. Durch die
Fernsehmeldung nachdenklich geworden, verließ er das Gebäude. Als er auf den
mit Fontänen und Wasserspielen großzügig gestalteten Vorplatz der BodenGrund
ins Freie trat, setzte die Abenddämmerung bereits ein. Durch die aufreißende
Wolkendecke warf die Sonne ihr glutrotes Licht über die metallisch wirkende
Glashaut des Hochhauses und bewegte sich von den Fenstern des 23. Stockwerks
an stetig nach unten.
    Gromek stieg eine breite Treppe hinab. In seinem Rücken brachen
die letzten kräftigen Sonnenstrahlen zwischen zwei Wolkenverbänden durch und
skizzierten über acht Stufen hinweg einen scharf umrissenen, achtfach
gebrochenen Schatten.
    Kurz darauf saß er in seinem Wagen, einem schwarzen BMW 850 Ci. Bevor er startete, verharrte er einen Moment lang regungslos in
dem schimmernden schwarzen Lederpolster des Fahrersitzes. Die eben gehörte
Nachricht beschäftigte ihn noch immer. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass er
schon bald einen Anruf erhalten würde, und legte sein Mobiltelefon griffbereit
auf den Beifahrersitz. Als er
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