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Grimwood, Ken - Replay

Grimwood, Ken - Replay

Titel: Grimwood, Ken - Replay
Autoren: Das zweite Spiel
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selten über tiefere Bedürfnisse sprachen, niemals das quälende Gefühl von Ungenügen anschnitten, das immer zwischen ihnen stand.
    Linda wischte sich mit dem linken Handrücken eine bedeutungslose, zwiebelerzeugte Träne ab. »Hast du zugehört, Jeff?«
    »Ja. Ich habe zugehört.«
    »Was wir brauchen«, sagte sie, in seine Richtung blickend, aber nicht genau zu ihm hin, »das ist ein neuer Duschvorhang.«
    Höchstwahrscheinlich war das die Ebene von Bedürfnissen, die sie am Telefon im Begriff war auszusprechen, als er starb. »…ein Dutzend Eier«, würde ihr Satz wahrscheinlich geendet haben, oder: »…eine Packung Kaffeefilter.«
    Doch warum dachte er das alles? wunderte er sich. Er starb, um Himmels willen; sollten seine letzten Gedanken nicht irgendwie tiefschürfender sein, philosophischer? Oder vielleicht eine Wiederholung der Höhepunkte seines Lebens im Zeitraffer, dreiundvierzig Jahre in Betavision. Das war es doch, was Menschen beim Ertrinken erlebten, oder etwa nicht?
    Es fühlte sich wie Ertrinken an, dachte er, während die gedehnten Sekunden verstrichen: der schreckliche Druck, das hoffnungslose Ringen nach Luft, die klebrige Feuchtigkeit, die seinen Körper bedeckte, während salziger Schweiß über seine Stirn hinabströmte und in seinen Augen brannte.
    Ertrinken. Sterben. Nein, verdammt, nein, das war ein unpassendes Wort, anwendbar nur auf Blumen oder Haustiere oder andere Menschen. Alte Menschen, kranke Menschen. Unglückliche Menschen.
    Sein Gesicht fiel auf den Schreibtisch, die rechte Wange flach gegen den Aktenordner gepreßt, den er gerade im Begriff war zu studieren, als Linda anrief. Der Sprung im Briefbeschwerer lag deutlich vor seinem einen offenen Auge; ein Riß durch die Welt selbst, ein zerklüftetes Spiegelbild des in seinem Innern tobenden Todeskampfs. Durch das zerbrochene Glas hindurch konnte er die leuchtend roten Ziffern der Digitaluhr oben auf seinem Bücherregal sehen:

    1:06 18Okt88

    Und dann gab es nichts mehr, worüber nachzudenken sich vermeiden ließ, weil der Vorgang des Denkens zum Erliegen gekommen war.
    Jeff konnte nicht atmen.
    Natürlich konnte er nicht atmen; er war tot.
    Aber wenn er tot war, warum spürte er dann, daß er nicht atmen konnte? Oder überhaupt etwas?
    Er drehte den Kopf von der zusammengeknüllten Decke weg und atmete. Abgestandene, stickige Luft, angefüllt mit seinem eigenen Schweißgeruch.
    Also war er nicht gestorben. Irgendwie elektrisierte ihn die Erkenntnis nicht, genauso wenig, wie seine frühere Annahme, tot zu sein, ihn in Angst und Schrecken versetzt hatte.
    Vielleicht hatte er das Ende seines Lebens insgeheim begrüßt. Jetzt würde es bloß weitergehen wie zuvor: die Unzufriedenheit, der schleichende Verlust von Ambitionen und Hoffnung, der entweder das Scheitern seiner Ehe hervorgerufen oder von ihm hervorgerufen worden war, er konnte sich nicht mehr erinnern, was davon richtig war.
    Er schob die Decke von seinem Gesicht herunter und stieß mit den Füßen nach dem zerknüllten Laken. Irgendwo in dem abgedunkelten Zimmer spielte kaum hörbar Musik. Ein Oldie: ›Da Doo Ron Ron‹ von einer dieser Phil Spector-Mädchengruppen.
    Jeff tastete vollkommen desorientiert nach dem Lichtschalter. Er befand sich entweder in einem Krankenhausbett und erholte sich von dem, was im Büro geschehen war, oder er war zu Hause und erwachte gerade aus einem Traum, der schlimmer als üblich gewesen war. Seine Hand entdeckte die Nachttischlampe, schaltete sie an. Er befand sich in einem kleinen, unordentlichen Zimmer mit Kleidungsstücken und Büchern, die über den Fußboden verstreut und wahllos auf zwei benachbarten Schreibtischen und Stühlen aufgetürmt waren. Weder ein Krankenhaus noch sein und Lindas Schlafzimmer, aber irgendwie vertraut.
    Eine nackte, lächelnde Frau erwiderte sein Starren. Eine große Fotografie, die an der Wand klebte. Ein Playboy-Ausklappbild, eins von den alten. Die dralle Brünette lag sittsam auf dem Bauch, auf einer Luftmatratze auf dem Achterdeck einer Yacht, den rot-weiß gepunkteten Bikini an der Reeling festgebunden. Mit ihrem feschen Seemanskäppi, ihrem sorgfältig gekämmten und gesprayten dunklen Haar, hatte sie eine entfernte Ähnlichkeit mit der jungen Jackie Kennedy.
    Die anderen Wände, sah er, waren in demselben veralteten, kindischen Stil dekoriert: Stierkampf-Poster, eine starke Vergrößerung eines roten Jaguar XK-E, ein altes Dave Brubeck Plattencover. Über dem Schreibtisch war eine rot-weißblaue
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