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Grimwood, Ken - Replay

Grimwood, Ken - Replay

Titel: Grimwood, Ken - Replay
Autoren: Das zweite Spiel
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1
    Jeff Winston telefonierte gerade mit seiner Frau, als er starb.
    »Wir brauchen…« sagte sie, und er hörte sie nicht mehr sagen, was es eigentlich war, was sie brauchten, weil etwas Schweres gegen seine Brust zu schlagen schien und die Luft aus ihm herauspreßte. Der Telefonhörer fiel ihm aus der Hand und zerschmetterte den gläsernen Briefbeschwerer auf seinem Schreibtisch.
    Erst in der vorigen Woche hatte sie etwas Ähnliches gesagt, nämlich: »Weißt du, was wir brauchen, Jeff?«, und es war eine Pause entstanden – keine endlose, keine endgültige, wie diese tödliche Pause, aber doch eine spürbare Unterbrechung. Er hatte am Küchentisch gesessen, an der Stelle, die Linda gerne die ›Frühstücksecke‹ nannte, obwohl es überhaupt kein abgetrennter Platz war, bloß ein kleiner Resopaltisch mit zwei Stühlen, die ungeschickt zwischen der linken Seite des Kühlschranks und der Vorderseite des Wäschetrockners plaziert waren. Linda hatte auf der Arbeitsplatte Zwiebeln gehackt, als sie das sagte, und vielleicht waren es die Tränen in ihren Augenwinkeln, die ihn nachdenklich gemacht und ihrer Frage mehr Gewicht verliehen hatten, als sie eigentlich beabsichtigt hatte.
    »Weißt du, was wir brauchen, Jeff?«
    Und er hätte sagen sollen: »Was denn, Schatz?«, hätte es zerstreut und ohne Interesse sagen sollen, so wie er Hugh Sideys Kolumne in der Time über die Präsidentschaft las. Aber Jeff war nicht zerstreut; Sideys Ergüsse scherten ihn einen Dreck. Tatsächlich war er so konzentriert und aufmerksam wie seit langer, langer Zeit nicht mehr. Deshalb sagte er eine Zeitlang gar nichts; er starrte nur auf die falschen Tränen in Lindas Augen und dachte an die Dinge, die sie brauchten, er und sie.
    Zunächst einmal mußten sie verreisen, in ein Flugzeug steigen, das irgendwohin flog, wo es warm und üppig war – nach Jamaika vielleicht, oder nach Barbados. Sie hatten seit der lang geplanten, aber irgendwie enttäuschenden Rundreise durch Europa vor fünf Jahren keinen richtigen Urlaub mehr gehabt. Ihre jährlichen Reisen nach Florida zu seinen Eltern in Orlando und Lindas Familie in Boca Raton zählten für Jeff nicht; das waren Besuche in einer immer weiter zurückweichenden Vergangenheit, weiter nichts. Nein, was sie wirklich brauchten, war eine Woche, ein Monat auf einer dekadent fremden Insel: mit Liebe an endlosen leeren Stränden und nachts dem Klang von Reggaemusik in der Luft, wie der Geruch feuerroter Blumen.
    Ein anständiges Haus wäre ebenfalls schön, vielleicht eins dieser vornehmen Häuser in der Upper Mountain Road in Montclair, an denen sie an so vielen wehmütigen Sonntagen vorübergefahren waren. Oder ein Wohnsitz in White Plains, ein Zwölfzimmer-Tudorhaus an der Ridgeway Avenue in der Nähe des Golfplatzes. Nicht, daß er anfangen wollte, Golf zu spielen; all diese weitläufigen Grünflächen mit Namen wie Maple Moor und Westchester Hill würden eine viel erfreulichere Umgebung abgeben als die Auffahrten zum Brooklyn-Queens-Expressway und die Flugschneise von LaGuardia.
    Sie brauchten auch ein Kind, obwohl Linda unter diesem Mangel wahrscheinlich mehr litt als er. Jeff stellte sich ihr niemals geborenes Kind immer im Alter von acht Jahren vor, all den Anforderungen des Säuglingsalters entwachsen und noch nicht in den Wirren der Pubertät. Ein gutes Kind, nicht übertrieben schlau und nicht affektiert. Junge oder Mädchen, darauf kam es nicht an; nur ein Kind, ihr Kind und seines, das lustige Fragen stellte und zu nah am Fernseher saß und in dem sich der Funke seiner sich entwickelnden Individualität zeigte.
    Aber es würde kein Kind geben; sie wußten seit Jahren, daß dies unmöglich war, seit Lindas Bauchhöhlenschwangerschaft im Jahre 1975. Und es würde kein Haus in Montclair geben und keins in White Plains; Jeffs Stellung als Nachrichtendirektor am WFYI-Nachrichtensender in New York klang beeindruckender, lukrativer, als sie tatsächlich war. Vielleicht würde er noch den Sprung zum Fernsehen schaffen; aber mit dreiundvierzig war das zunehmend unwahrscheinlich.
    Wir brauchen, wir brauchen… ein Gespräch, dachte er. Uns gegenseitig direkt in die Augen zu sehen und einfach zu sagen: Es hat nicht funktioniert. Nichts von alledem, weder die Liebe, noch die Leidenschaft oder die glorreichen Pläne. Es ging alles daneben, und niemand hat Schuld. Es ist einfach so gekommen.
    Aber das würden sie natürlich niemals tun. Das war der Hauptgrund des Scheiterns, der Tatsache, daß sie
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