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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman
Autoren: Christoph Marzi
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gekommen war, da ging er mit Meister Grim in die Welt der Menschen.«
    Er gestattete den Mythen, sich seines Geistes zu bedienen, damit sie in das Bewusstsein der Menschen eindringen konnten.
    »Denn die Träume, mein Kind, sind allzeit schwach und können betreten werden von denen, die den Zugang finden.«
    Sie ließen die Kinder der Welt in einen tiefen Schlaf fallen. Sie sandten Warnungen aus. Die Kinder schliefen ein weiteres Mal ein.
    »Die Menschen waren so furchtsam wie früher und begannen wieder an uns zu glauben.«
    Denn der Glaube muss stark sein.

    »So gewannen wir an Kraft.«
    Vesper kauerte am Boden. Ihr war egal, was jetzt passierte. Leander war tot, lag in ihren Armen.
    Sie war so allein.
    »Ihr wollt zurückkehren.« Jonathan Andersen erhob sich. Er hielt die Pistole in der Hand.
    »Das Eis können Sie nicht durchdringen.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Ja, wir kehren zurück. Wir wollten nur zurückfordern, was immer schon uns gehörte.«
    Das Leben.
    Ja, sie wollten ihr Leben zurückhaben.
    So, wie Vesper Leander wiederhaben wollte.
    »Doch ich war immer noch eine Gefangene in meinem eigenen Reich«, fuhr die Schneekönigin fort.
    Wir wussten, dass sich dort draußen die Schlüssel befanden, aber wir hatten keine Ahnung, an wen sie weitergegeben worden waren. Wilhelm und Jacob Grimm hatten in weiser Voraussicht eine ganze Reihe von Refugien anlegen lassen, die nichts als ein Gewirr falscher Fährten waren. So viele Schlüssel gab es, und sie alle mussten wir finden und prüfen. Sie seufzte wie Frost, der langsam brennt. Es ging darum, die drei richtigen Schlüssel zu finden. Die drei, die diesen Turm hier zu öffnen vermochten.
    Andersen steckte die Pistole wieder ein.
    Vesper seufzte. Es war ohnehin alles zwecklos, was sie zu erreichen versuchten.
    »Schließlich trafen wir auf euch. Drei Menschen, die eigentlich nichts mit der Bohemia zu tun hatten. Jonathan Andersen, dessen Familie sich von Anfang an gegen die Gesellschaft ausgesprochen hatte und sogar einem aus
unserer Mitte sichere Zuflucht gewährt hatte. Der seine geliebte Carlotta verloren hatte, weil sie von Mitgliedern der Bohemia ermordet wurde.«
    Andersen schluckte. »Dann ist es also wahr.«
    »Sie hätte sich nie untergeordnet.«
    In den Untiefen ihrer Trauer fragte sich Vesper benommen, was ihre Eltern mit ihr getan hätten, wenn der Zeitpunkt gekommen wäre. Hätten sie ein Nein von ihr akzeptiert? Sie würde es nie mehr erfahren.
    »Leander Nachtsheim, der seinen Bruder verloren hatte.« Die Schneekönigin bedachte Alexander mit einem vielsagenden Blick. »Und Vesper Gold, deren Schwester erfuhr, was hinter dem Spiegel war, und sich das Leben nahm, weil sie es nicht ertragen konnte, so zu werden wie ihre Eltern, die all das bereitwillig hingenommen hatten.«
    Das Leben war kein Märchen, Vesper wusste das jetzt. Die Welt hatte für sie all die Magie, die einst in ihr geatmet hatte, verloren. Wohin sie auch blickte, gab es nur Lügen und Verrat und Tod.
    Sie klammerte sich an Leander, als hinge ihr Leben davon ab. Doch auch die Verzweiflung würde nichts daran ändern.
    Er war tot.
    Sie roch sein Blut, sein Haar, seine Haut.
    »Wir töteten alle ihre Mitglieder, nachdem wir ihnen die Schlüssel und die Uhren und Schmuckstücke mit den magischen Steinsplittern genommen hatten. Denn wir wussten, dass sich die Bohemia nicht wieder erheben durfte. Wie Jäger, die lange nicht zur Jagd aufgebrochen waren, so
waren sie träge geworden. Niemand glaubte mehr richtig an das, was in den alten Schriften stand. Diese Nachlässigkeit machten wir uns zunutze.«
    Vesper schaute auf. Tränen rannen ihr übers Gesicht.
    Nein, verdammt, so durfte kein Märchen enden.
    »Und all die Kinder? Was passiert jetzt mit ihnen?«
    Die Schneekönigin lächelte kalt und zufrieden.
    »Worum geht es wirklich?«, wollte Andersen wissen.
    »Ihr habt noch immer keine Ahnung?«, knurrte Meister Grim. »Nach all dem, was geschehen ist?«
    Die Schneekönigin gebot ihm zu schweigen.
    Alexander Nachtsheim ließ das Messer zu Boden fallen.
    »Alle Uhren oder Schmuckstücke«, sagte die Schneekönigin, »sind in unseren Händen. Nur diese drei fehlen mir noch.«
    Jetzt erst ahnte Vesper, was sie vorhatte. Hinter all den Tränen, die ihr übers Gesicht rannen, konnte sie es sehen. Es war so klar, so einfach. Sie wollte wieder frei sein, weil sie auf die Reise gehen wollte. Sie hatte die grünen Steine gesucht und gefunden. Die ganze Zeit war es um die Steine
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