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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman
Autoren: Christoph Marzi
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gekommen.«
    »Du trägst den Ring, Mädchen, und wagst es, mich um etwas zu bitten?«
    Vesper mochte an nichts denken, wovon sie redete. »Ich habe den Ring nicht benutzt.« Sie erschrak selbst, wie leicht ihr die Lüge über die Lippen kam.
    »Du wirst es erneut tun«, sagte die Schneekönigin.
    »Nein, ich …«
    »Und du bist eine schlechte Lügnerin, Vesper Gold.«
    »Sie hat die Hüterin des Spiegelscherbenwaldes getötet«, sagte Meister Grim. »Sie und die anderen. Sie alle sind Mörder.«

    »Es tut mir leid«, sagte Vesper.
    »Ihr bringt den Tod ins Winterland«, schnitt die Schneekönigin ihr herrisch das Wort ab. Ihr Haar formte Wirbel im Eis, Strudel inmitten der Starre.
    Vesper schwieg.
    »Ihr habt keine Ahnung, was ihr angerichtet habt.« Die Verachtung in ihrer Stimme ließ die Luft selbst gefrieren. »Ihr seid dumm und unwissend. Ihr kommt hierher, weil ihr glaubt, dass ich euch helfen werde?« Sie lachte, und Vespers Herz tat weh. Leander und Andersen fassten sich ebenfalls an die Brust. »Ihr glaubt allen Ernstes, was die Hexe euch gesagt hat?«
    Wir sind in eine Falle getappt, dachte Vesper . Verdammt, das hätten wir uns ja auch denken können. Die Sache lief einfach viel zu rund.
    »Dann hat sie gelogen?«
    »Hexen lügen doch immer.« Die Schneekönigin lachte schallend. »Ihr seid hier, weil ich es so wollte.« Sie schwebte um sie herum an den Wänden entlang, vorbei am Fenster, wo sie nur ein eisiger Hauch war, und weiter, bis sie wieder dort ankam, wo sie ursprünglich gewesen war. Überall da, wo Eis war, konnte auch sie sein. Das Eis war das Meer, in dem sie zu schwimmen vermochte.
    Die schwarzen Wölfe standen abwartend vor der Treppe.
    Meister Grim folgte wachsam jeder Bewegung im Raum.
    »Doch lasst mich euch eine Geschichte erzählen.« Ihr zartes Gesicht war grausam anzuschauen, so lieblich es auch anmutete. »Denn alles, was euch noch vom Tode trennt, ist diese eine Geschichte.« Sie beugte sich vor, und
ihr Antlitz berührte das Eis an der Wand. Sie war so schön, dass einem das Herz erstarren konnte. Vesper spürte es.
    »Es war einmal«, hauchte die Schneekönigin wie der Winterwind, »denn so beginnt es doch immer.«
    Es war einmal, vor langer Zeit.
    »Es war einmal«, wiederholte sie nachdenklich, klirrend, kalt. Die Spiegel in ihren Augen veränderten sich andauernd. »Es war einmal und ist schon lange her, da lebte eine junge Königstochter, die verliebte sich in einen hübschen Prinzen.«
    Es war im Sommer, und sie trafen sich an einem Fluss. Sie war heimlich dort hingegangen, um zu schwimmen, und er lag im Schatten einer Erle und schlief, als er das Plätschern des Wassers vernahm und erwachte. Er wähnte sich noch immer in einem Traum, sah das schöne Mädchen, und sofort war es um ihn geschehen.
    Er brachte die Prinzessin nach Hause und hielt, wie es sich gehörte, um ihre Hand an. Es wurde Hochzeit gefeiert, und fortan lebten die beiden glücklich in ihrer Burg, dort unten im Tal, wo die Magie wie die Bienen allzeit die Blüten umwehte. Die Zeit verging, und die alten Könige kehrten in die Erde zurück, wo sie eins wurden mit den Geistern ihrer Ahnen.
    »Die Menschen nannten ihn den Erlkönig«, sagte die eisige Stimme. »Und die junge Frau, die nannten sie liebevoll ihre Maikönigin, weil alle, die sie sahen, jene schmetterlingshaften Gefühle bekamen, die man im Monat Mai bekommt.«
    Doch dann kam Krieg über das Land.

    Der Erlkönig musste seine geliebte Königin verlassen und hinaus in die Schlacht ziehen. Er kämpfte gegen die Menschen, weit entfernt in deren Gefilden.
    Die Geschichte, die auch die Hexe erzählt hatte.
    »Doch er geriet in Gefangenschaft.«
    Zwei Brüder, welche die Sitten der Mythen kannten, lauerten ihm auf und fingen ihn ein.
    »Jacob und Wilhelm Grimm.« Der Menschenwolf ballte die Pranken.
    »Sie banden ihn mit einer Magie, die uralt und fast schon vergessen war.«
    Doch sie wussten auch, dass sie den Erlkönig nicht auf ewig würden binden können.
    »So kam es, dass sie einen teuflischen Plan ausheckten.«
    Mithilfe eines gelehrten Reisenden, der die andere Welt wie kein Zweiter kannte, brachten sie den Erlkönig fort.
    »Von Humboldt.« Andersen hatte es erkannt.
    Weit übers Meer fuhren sie, bis zu jenem Ort, der nur aus Eis und Schnee besteht.
    »Das Eismeer.«
    »Der Name des Schiffes war Hyperion .«
    Dort hielten sie den Erlkönig fest, bis das Eis sein Herz umschlossen hatte. Er kauerte in einer Gletscherspalte, tief im ewigen Eis,
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