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Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
Autoren: Unbekannter Autor
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und wird für die Enkelin des Mannes gehalten -«
    »Sie meinen, ob es dann nicht besser wäre, man würde die alten Geschichten ruhen lassen?«
    »So ähnlich. Überlegen Sie mal, nach einem halben Jahrhundert stellt sich heraus, dass Maisie gar nicht Maisie ist.« Jury hielt inne. »Na gut, ich will sehen, was ich tun kann.« Er steckte die Bilder in eine Innentasche seines Mantels und stand auf. Mickey erhob sich ebenfalls. Jury ging um den Schreibtisch herum und umarmte ihn. »Alles, was Sie wollen, Mickey, jederzeit, Tag oder Nacht. Das meine ich ganz ernst.«
    »Danke, Rieh.« Tränen standen in Mickeys Augen. »Es bedeutet mir sehr viel.«
    Mickey im Sterben. Mickey tot.
    Jury betrachtete die Pflastersteine zu seinen Füßen, während er Ludgate Hill hinaufging. Er schritt langsam voran, fast zögernd, bestimmt sah es aus wie der unsichere Gang eines Greises, dachte er. Liebe Güte, dafür, dass er sich schon alt fühlte, war er doch noch zu jung.
    Abgesehen von den Polizisten, Feuerwehrleuten und dem Krankenhauspersonal, die in der City ihren Dienst versahen, schien alles wie entvölkert zu sein, und Jurys Stimmung war teilweise dieser Leere zuzuschreiben.
    Plötzlich wusste er, woran es ihn erinnerte: an ein Niemandsland. Allerdings kannte er es nicht aus erster Hand, dieses neutrale Territorium im Schlachtgebiet, das weder Vormarsch noch Rückzug markierte und von keiner Seite beansprucht wurde. Sein Vater hatte es allerdings gekannt, er hatte davon erzählt. Nein, seine Mutter war es gewesen. So anschaulich hatte sie es geschildert, dass es ihm vorgekommen war, als stammte der Bericht von seinem Vater.
    Ich dachte, es sei das Werk der Erinnerung. Das hatte Mickey gesagt.
    In der Nähe von St. Paul's Churchyard hielt er Ausschau nach Blackfriars Lane und der Baustelle. Wegen der vielfach gewundenen, schmalen Straßen stieß er beinahe zufällig darauf. Man hatte die Stelle noch nicht mit Planen abgedeckt, und Kräne, Planierraupen und andere Maschinen standen wie prähistorische Spielzeugmaschinen im ausgehöhlten Erdreich herum.
    Irgendwie verspürte er den Drang, seine wenigen Erinnerungen wie einen Mantel oder eine Decke um sich zu raffen. Er fragte sich, wie verlässlich sein Gedächtnis, oder überhaupt irgendein Gedächtnis, eigentlich war.
    Wie Sterben war, konnte man einem anderen nie vermitteln, ganz egal, wie nahe man dem Menschen stand. Ganz egal, wie fähig, wie bereitwillig, wie mitteilsam der Kranke war. Allein er kann es wissen, kann es einschätzen, es ausmalen, die Grenzen erkennen.
    Es fühlte sich vielleicht an, wie wenn man um zwei Uhr morgens im menschenleeren Finanzdistrikt auf Streife geht. Vielleicht - oder vielleicht auch nicht. Woher sollte er es wissen? Der Einzige, der es wusste, war Mickey selbst. Kein Wunder, dass der Mann so krank aussah.
    Und was verschaffte einem Zutritt zu diesem Museum der verwüsteten Porträtfotografie? Nichts. Bis man selbst der Sterbende war, kam man nicht hinein. Nichts, nada, nil.
    Er blickte hinunter auf die Stelle, an der einmal das Blue Last gestanden hatte. Wie immer, wenn er zu dem Schauplatz eines Verbrechens kam, versuchte er sich vorzustellen, was sich hier abgespielt hatte. Die Gäste im Pub, die paar Extrahiere, mit denen sie sich Mut antranken, die Kameradschaftlichkeit.
    Jury konnte sich mühelos vorstellen, wie ein Gebäude um ihn herum einstürzte. Nicht vorstellen konnte er sich, weshalb es ihn verfehlt und dafür seine Mutter begraben hatte. Dabei war das damals nichts Ungewöhnliches.
    Und die junge Kitty, die an den wie Streichhölzer aufragenden Gebäuderesten vorbeihastete. Hier ein halbes Haus wegrasiert, dort eins, so dass man in der gelegentlich stehen gebliebenen anderen Hälfte wie in einem Puppenhaus türlose Räume oder ein frei einsehbares Treppenhaus erkennen konnte. Und doch gab es hier und da ein intakt gebliebenes Gebäude, wie zum Trotz un-zerstört. Daraus schöpfte das Mädchen die Hoffnung, dass das Pub noch einmal Glück gehabt hatte und auch davongekommen war.
    War es aber nicht, und so machte Kitty sich nun daran, ihr eigenes Glück zu schmieden.
3
    Auf der Ludgate Hill blieb Jury vor einem Restaurant stehen, das für seine Cappuccino-Bar Reklame machte. Unschlüssig sah er von draußen hinein und dachte dabei an Mickey. Wenn er herausfand, was passiert war und ob Tynedales Enkelin tatsächlich die war, für die sie sich ausgab, würde Mickey dann wieder Bodenhaftung fühlen?
    Er ging in das Lokal. Es war leer
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