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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten
Autoren: Peter Nimtsch
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Indizien dafür, dass Frieder Sausele alles andere als das harmlose, wehrlose Opfer gewesen war. Sie hofften, diese Version Sauseles Geständnisses vor Gericht widerlegen und mit Hilfe von Zeugenaussagen beweisen zu können, dass er aus Angst vor Verlust seines Vermögens gehandelt hatte. Das Gespräch des Hauptkommissars mit Linde vom Vortag hatte noch einige Hinweise darauf geliefert. Unter den Mitarbeitern des Sonnenweiß-Stifts wurden weitere Zeugen dafür gesucht, dass Sausele seine Mutter mehr gehasst als geliebt hatte.
    Juri Kovalevs Auto, ein schwarzer Zweier VW Golf mit gefälschtem Berliner Kennzeichen, war von einigen Personen in der beschriebenen Zeit in Lauffen gesehen worden. Seitdem aber nicht mehr. Auch in keiner anderen Stadt. Das Auto war, wie der Mörder selbst, verschwunden. Es wurden allerdings noch zwei weitere Zeugen gefunden, die den Besucher an jenem Sonntag im Heim gesehen hatten. Sie hatten ihn an Hand eines Fotos, das seinen Bruder Andrej zeigte, wiedererkannt.
    Wie die Tat im Sonnenweiß-Stift selber sich genau abgespielt hatte, konnte man bis zur Gerichtsverhandlung gegen Frieder Sausele nicht endgültig klären. An Hand der Aussagen verschiedener Zeugen und der zeitlichen Abfolge ihrer Beobachtungen wurde der Tathergang jedoch grob rekonstruiert. Auch der Staatsanwalt übernahm schließlich Strobes Theorie, dass der Mörder sich in einem der Umkleideräume versteckt hatte, als kaltblütiges Ablenkungsmanöver die Klingel von Frau Schmidt betätigt hatte und nach der Tat über den Balkon von Frau Sausele geflüchtet war.
    Reste eines Joints wurden nicht gefunden, auch nicht im Frauenumkleideraum. Aber Irene bestätigte im Nachhinein, dass Frau Sauseles Balkontür am Morgen nach dem Mord nicht verschlossen gewesen war. Sie war vermutlich von außen herangezogen worden und blieb zu, da sie leicht klemmte.
    Strobes nicht ganz legale Blitzaktion zur Überführung Frieder Sauseles ließ sich leider polizeiintern nicht geheim halten. Man hätte sonst eine Fehlinformation an Interpol weiterleiten müssen. Juri Kovalev war ja zum Zeitpunkt des heimtückischen Anrufes bei Sausele nicht mehr in der Gegend gewesen. Zumindest war nichts dergleichen bekannt. Die Aktion blieb aber für den Hauptkommissar ohne Konsequenzen. Von einem ernsthaften Gespräch mit seinem Chef, bei dem Bacchus, so wie häufig, einen Obstler spendierte, abgesehen. Kriminaloberrat Bachmüller ließ es bei einer mündlichen Ermahnung bewenden, und Strobe versprach im Gegenzug, von dem Verhältnis des Chefs mit einer zwanzig Jahre jüngeren Kommissaranwärterin nie etwas gehört zu haben.
    Im Übrigen waren alle froh über den schnellen Erfolg, vor allem aber darüber, dass sich die schlimmen Befürchtungen nicht bewahrheitet hatten und es keinen Serienmord gab.
    Staatsanwalt Jung verkündete stolz in einer Pressekonferenz, dass es auf Grund rechtzeitiger und richtiger Entscheidungen und durch präventive Polizeiarbeit gelungen sei, ein einzelnes Verbrechen und einen Unglücksfall aufzuklären. Für weitere Obduktionen, beziehungsweise die dafür erforderlichen Exhumierungen sah er nun keinen Grund mehr. Medizinische Gutachter hatten die Todesfälle Fritz und Leutle als unverdächtig eingeschätzt. Die Sachverständigen bestätigten auch, dass sich Kevin Linde in beiden Fällen richtig verhalten hatte. Ob den Pechvögeln die todbringenden Leckerbissen zugesteckt worden waren, konnte die Polizei nicht herausfinden.
    Dass die Aufdeckung des Mordes überhaupt nur durch einen anonymen Anruf in Zusammenhang mit drei unglücklichen nichtnatürlichen Todesfällen angestoßen wurde, erwähnte Staatsanwalt Jung nicht. Dass es zu diesem anonymen Anruf hauptsächlich wegen eines Missverständnisses gekommen war, ahnte er nicht einmal.

Montag

    Bis jetzt war alles glatt gelaufen an diesem Nachmittag. Kevin saß im Schwesternzimmer und streckte die Füße aus. Er war bereits fertig mit Abzeichnen. Bei seinen beiden Kolleginnen, ihm gegenüber am Tisch, glühten noch die Kugelschreiber: Renate, deren Liebling er inzwischen wieder war, und Larissa.
    Kevin ließ die ersten Stunden dieser Spätschicht Revue passieren: Die Bewohner, die vor dem Abendessen ins Bett mussten, waren versorgt, die Medis waren verteilt, es gab keine Zwischenfälle, keine akut erkrankten Bewohner. Paradiesisch. Und genauso friedlich waren fast alle Tage verlaufen, seit er wieder im Dienst war. So als ob sich alle Bewohner zusammenreißen würden, um ihm die letzten
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