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Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache

Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache

Titel: Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
Autoren: A. J. Lake
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1. KAPITEL
    Zuerst war alles schwarz, dann grellweiß. Weiß wie gesplitterter Knochen.
    Dann fuhr der Wind über das Wasser. Balken krachten wie zehntausend umstürzende Bäume und das Handelsschiff Spearwa stand senkrecht in den Wellen.
    Aber den Schaden hatte der Blitz verursacht. Er hatte den Mast der Länge nach gespalten. Zusammengefaltet wie der Flügel eines Schwans hing das Segel über dem Deck, ein heller Fleck in der Nacht.
    Das Ende der langen Spiere sauste an Adrians Ohr vorbei. Es verfehlte ihn nur um Haaresbreite.
    »Komm mit!«, brüllte der Steuermann, riss ihn hoch und schob ihn über das steil geneigte Deck. Im nächsten Augenblick hatte der Regen Adrians dünnen Leinenkittel und seine Hose vollkommen durchnässt. Die Kälte verschlug ihm den Atem. Wenigstens hatte er gute Stiefel. Sie verhinderten, dass er auf dem Weg durch Nacht und Hagel ausrutschte. Einige Ruderer drängten mit aufgeregtem Geschrei an ihm vorbei, um den Vormast zu retten, und er schlug sich den Ellbogen am Deckhaus an. Er sah die Männer mit einem Gewirr von Tauen hantieren und das schlagende Ledersegel einholen.
    Bei ihnen stand Kapitän Trymman und brüllte Befehle. Dann verschwand der Kapitän hinter einem dichten Vorhang aus Regen. Schreie und das Ächzen der Balken übertönten seine Stimme.
    Vor dem zertrümmerten Großmast blieb der Steuermann wie angewurzelt stehen und blickte zum stürmischen Himmel auf. Auch Adrian hob den Kopf. Im Licht eines Blitzes gleißten Hagelkörner auf, die wie ein Schwarm wütender Bienen in seine Wangen stachen. Er hob die Hand schützend vor das Gesicht und sah im selben Moment durch den Hagelschauer noch etwas anderes. Etwas, was es eigentlich gar nicht gab.
    Feuer? Ich habe Feuer gesehen! Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, das Dunkel zwischen den Blitzen zu durchdringen. Und tatsächlich, da war sie wieder, die große, rote Zunge, die durch die Nacht leuchtete wie das Feuer eines Schmelzofens.
    »Die Götter stehen uns bei!«, murmelte der Steuermann und Adrian sprach seine Worte nach. Wieder neigte sich das Schiff zur Seite und die Wellen türmten sich auf wie die Klippen von Broniel.
    »Halte dich am Mast fest!«, schrie der Steuermann ihm ins Ohr. »Binde dich fest!« Er schlitterte über das schräge Deck wie ein Stein über Eis und war verschwunden.
    Doch Adrian war unfähig, sich zu bewegen. Unverwandt starrte er zum Himmel empor und suchte nach den roten Flammen. Da! Und da wieder! Als würde ein Götterschmied auf seinem Amboss Blitze schmieden und rot glühende Funken über den Himmel sprühen.
    Er sah die Welle erst, als sie ihm die Beine wegriss. Er flog über das Deck, der Reling entgegen, auf deren anderer Seite das Meer kochte. Die Reling hält mich nicht, dachte er. Ich stürze in den Tod!
    Im letzten Augenblick bekam er die Spiere zu fassen, die ihm zuvor beinahe den Schädel eingeschlagen hatte. Sie hatte sich in der Reling verkantet. Auf dem Rücken liegend, klammerte Adrian sich in Todesangst daran fest. Wieder fegte eine Wand aus Wasser über ihn hinweg. Er schüttelte sich das Wasser aus den Augen und blickte unvermutet in ein Gesicht. Das Gesicht eines Mädchens mit bernsteingelb leuchtenden Augen.
    »Nimm das!«, rief das Mädchen und warf ihm ein Tau zu. »Sonst reißen dir die Arme ab.« Das andere Ende des Taus war um den Maststumpf gewickelt. Adrian streckte sich danach, packte es und band es sich um die Handgelenke.
    Das Mädchen hatte sich bereits mit einer Unmenge von Tauen um Brust und Bauch am Mast festgebunden. Ihre Ruhe wunderte ihn.
    »Du bist die Tochter des Kapitäns!«, rief er zähneklappernd durch den Wind. Er zitterte vor Kälte und Nässe und vor Angst, die metallen auf der Zunge schmeckte.
    »Elsa, Trymmans Tochter«, schrie sie zurück. »Und du bist der Passagier, der nie aus der Kabine kommt.«
    »Jetzt schon«, murmelte er.
    »Aber nicht für lang«, erwiderte das Mädchen bestimmt.
    Da erst merkte Adrian, dass nicht nur er zitterte. Das ganze Schiff vibrierte vom Bug bis zum Heck und die Balken unter seinen Füßen ächzten.
    Die Augen wegen der peitschenden Gischt halb geschlossen, hielt er sich an dem nassen Tau fest und schalt sich einen Feigling. Er, der Sohn und Erbe König Heoreds von Sussex, zitterte wie ein geprügelter Hund, statt dem Tod mannhaft ins Auge zu sehen, wie seine Mutter es von ihm erwartet hätte. Er wollte sich aufrichten und den Blick des Mädchens erwidern, doch auf einmal sah er nur noch seine Mutter –
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