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Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache

Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache

Titel: Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
Autoren: A. J. Lake
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auf dem schäumenden Wasser. Sie ließ die Kiste los und schwamm darauf zu.
    Die Wellen warfen sie wie einen Ball hin und her und Regen und Gischt zischten und fauchten.
    Als sie den Körper das nächste Mal sah, trieb er einige Meter rechts von ihr. Sie streckte die Hand aus, bekam ihn am Ärmel zu fassen und zog ihn zu sich heran. Er war leichter als erwartet und glitt mühelos durch das Wasser. Dann sah sie auch warum: Es handelte sich nicht um einen Matrosen, sondern um den Jungen, Adrian. Sie wusste nicht, ob er lebte oder tot war – nur, dass er ganz bestimmt ertrank, wenn sie ihn nicht zu ihrer Kiste schaffen konnte.
    Sie sah sich danach um. Wenn sie die Kiste im Dunkeln nicht fand, war auch ihr Tod besiegelt. Der Junge tauchte in die Wellen ein und sie zerrte ihn wieder an die Wasseroberfläche. Sie hielt schon alles für verloren, da flammte ein grellrotes Licht auf und in seinem Schein sah sie die Kiste keine fünf Meter von sich entfernt. Sie schlang den Arm um den Nacken des Jungen und ruderte unbeholfen auf die Kiste zu. Bitte, lass uns zur Kiste kommen, dachte sie, bitte …
     
    Der Himmel stand in Flammen und blutete wie ein Ochse mit durchgeschnittener Kehle. Aagard bleckte im Dunkeln die Zähne und fluchte stumm. Überall, im trüben Osten wie im überfluteten Westen, blickten die Menschen jetzt entsetzt zum blutgetränkten Himmel auf. Über dem Meer loderten weitere Feuerzungen auf. Aagard zuckte zusammen. Mit dem Sturm dieser Nacht war ein schreckliches Verhängnis über die Welt hereingebrochen und noch Schlimmeres würde folgen.
    Er wandte sich mit sinkendem Mut vom Meer ab. Gegen den Sturm war er machtlos und im Augenblick hatte er sowieso Dringenderes zu tun. Wenn er recht verstanden hatte, ging es um Leben und Tod. Er stapfte am Strand entlang und zählte seine Schritte.
    Dreiundneunzig, vierundneunzig, fünfundneunzig.
    Er blieb stehen und blickte über die Brandung hinaus. Der Traum hatte ihm aufgetragen, hierherzukommen, ohne ihm zu verraten, was er finden würde. Der Sturm würde etwas an Land werfen, etwas sehr Wichtiges, das um jeden Preis beschützt werden musste, auch wenn es von außen nicht kostbar aussah …
    Wieder fuhr eine Feuerzunge sengend über den Himmel. Aagard runzelte die Stirn. Von außen kostbar! Als müsste ein Traum ihn vor äußerem Blendwerk warnen! Er hatte seine Lektion gelernt, damals vor zwei Jahren in Venta. Jetzt traute er nur noch seiner Seele, seinen Träumen und seinem Verstand. Trotzdem, dachte er mit einem grimmigen Lächeln, ein wenig genauer hätte der Traum schon sein können …
    Dann sah er ihn, den schwarzen Gegenstand, der auf der Brandung auf und ab hüpfte und sich dunkel von den weißen Schaumkronen abhob. So weit draußen konnte er ihn nicht erreichen. Die Wellen trieben ihn zwar immer wieder auf den Strand zu, doch anschließend wurde er wieder hinausgesogen.
    Die neunte Welle warf ihn ganz unvermutet auf den nassen Sand, direkt vor Aagards Füße, zehn Schritte vom Wasser entfernt. Aagard starrte ihn an und erwartete halb, dass ihm der Zweck des Gegenstands und seine eigene Aufgabe enthüllt würden. Dabei stellte er fest, dass es sich nicht nur um einen Gegenstand handelte, sondern gleich um drei.
    Er überlegte. Er war zu alt, um gegen das Meer zu kämpfen, aber er durfte auch nicht riskieren, den seltsamen Fund wieder zu verlieren. Während er noch zögerte, mahnte ihn eine innere Stimme: Vertraue dem Traum! Achte auf den Himmel! Handle schnell, ehe es zu spät ist! Hastig eilte er über den saugenden Sand zum größten der drei Gegenstände. Er stellte sich als stabile Eichenkiste heraus.
    Der Alte blieb wie angewurzelt stehen. Er kannte die Kiste, eine unheilvolle Bekanntschaft. Er hatte gehofft, sie nie wiederzusehen. Ihr ausgerechnet jetzt zu begegnen, in der Nacht dieses widernatürlichen Sturms, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Unsicher kniete er nieder und betrachtete das Vorhängeschloss. Es schien unberührt und intakt. Die Runen, die es umliefen, waren schwarz vor Alter und Gebrauch.
    »Wenigstens das«, murmelte er. »Noch sind wir nicht ganz verloren, noch nicht.«
    Er beugte sich über die Kiste. Was hatte das Meer ihm noch gebracht? Ihm stockte der Atem.
    Von allen Dingen, die der wahnsinnige, tückische Sturm vor ihm hätte ausspucken können, hatte er damit am allerwenigsten gerechnet. Verwirrt starrte er die beiden an. Dabei hatte er sie schon einmal gesehen, das schwarzhaarige Mädchen und den hellblonden
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