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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten
Autoren: Peter Nimtsch
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wahr. Der Teufel , ist ihr letzter vager Gedanke.
    Ihr Herz schießt noch eine Maschinengewehrsalve Blut in die Adern, bevor ihr Kreislauf, durch Krankheit und Drogen ohnehin geschwächt, schließlich zusammenbricht und sie das Bewusstsein verliert.
    Minuten später hatte sich ihr letzter großer Wunsch erfüllt: Ihre Seele hatte die sterbliche Hülle verlassen. Marta Sauseles Leben war zu Ende.

Montag

    Schlurfend schleppte Renate ihren stämmigen Körper über den noch dunklen Flur des ersten Stocks. Wie immer zwanzig Minuten vor dem eigentlichen Beginn ihres Frühdienstes. Die ganze Station B lag noch im Halbschlaf. Die von Holzverkleidungen verdeckte Nachtbeleuchtung tauchte den langen Gang in dunkelgelbes Licht, das die Stationsleiterin zu fragen schien, was sie mitten in der Nacht hier verloren hatte.
    Sie gähnte ein „Guten Morgen, Kevin!“ durch die offen stehende Tür ins Stationszimmer und entschuldigte sich sofort darauf für ihr Gähnen.
    „Einen guten Morgen, Schwester Renate. Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“ Der Nachtdienst, den er hinter sich hatte, war dem Pfleger auf den ersten Blick anzusehen.
    „Oh, so besorgt?“, entgegnete die Chefin. „Es gibt doch nicht etwa was Neues?“
    Schon während sie es sprach, fiel ihr Blick automatisch auf den Schreibtisch und sie sah den Totenschein. „Frau Dietz? Hat sie's endlich geschafft?“, fragte sie überflüssigerweise, denn im nächsten Moment las sie schon den Namen auf dem weißen Schein mit dem blauen, dem gelben und dem rosa Durchschlag dahinter.
    „Marta Sausele?“ Ein Moment Schweigen. „Ist was passiert?“ Auch diese Frage war eigentlich überflüssig, denn sie hatte bereits den Eintrag des Arztes gelesen und das Kreuz im Kästchen für natürliche Todesursache gesehen.
    „Willst du nicht erst mal einen Kaffee? Frisch gebrüht“, lenkte Kevin ab, der ihr wohl ansah, dass sie zwar einerseits neugierig, doch an diesem Montagmorgen, zwanzig Minuten nach sechs, so scharf auf Neuigkeiten nun auch wieder nicht war.
    „Da sage ich heute nicht Nein. Aber bleib sitzen und schreib fertig, ich nehm mir einen.“ Froh über den Anlass, sich erst einmal niederlassen zu können, ließ sich Renate auf den Stuhl zwischen Tisch und Schrank fallen. Die Kaffeemaschine stand griffbereit neben ihr.
    Sonst begann sie immer sofort, bevor sie in der morgendlichen Runde Platz nahm – wenn sie überhaupt dazu kam sich zu setzen – die Medikamente für den Vormittag vorzubereiten. Doch heute konnte ihr Kreislauf einen kleinen Schubs gebrauchen. Sie hatte wahrlich alles andere als gut geschlafen. Und nun schon wieder ein Todesfall! Und noch einmal während Kevins Nachtschicht. Aber wenn der Ärmste augenblicklich nicht sein Herz ausschütten wollte, so wie das seine Kolleginnen an seiner Stelle jetzt getan hätten, sollte ihr das an diesem Morgen mehr als recht sein.
    Während sie sich das heiße, schwarze Getränk eingoss, entschlüpfte ihr ein nachdenkliches „Frau Sausele ...“
    „Ja, so schnell kann's gehen“, brummte es aus Richtung Aktenwagen. Kevin machte noch die letzten Eintragungen. Er zog die eine oder andere Bewohner-Kartei heraus, kritzelte ein paar Striche in eine Tabelle und hängte die Kartei wieder in den Wagen.
    Renate schaute ihm zu. Lass ihn erst mal fertig schreiben, dachte sie. Obwohl Kevin wie immer gelassen, beinahe sorglos, vor sich hin summte, sah sie ihm an, dass die vergangene Nacht, oder besser die vergangenen Nächte, nicht spurlos an ihm vorübergegangen waren. Seine Bewegungen wirkten flattrig. Er wirkte noch hohlwangiger als gestern, dabei war er eh schon so ein hagerer Spund. Unter seinen blutunterlaufenen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
    Während sie ihn betrachtete, wanderten ihre Gedanken wieder zur Verstorbenen: Kleines Monster war ihr interner Kosename innerhalb einer Gruppe eingeweihten Pflegepersonals gewesen. Wer hätte erwartet, dass sie uns so schnell verlässt?, dachte Renate.
    Sie war nun der dritte Todesfall, seit Kevin letzte Woche Montag mit der Nachtschicht angefangen hatte. Dass gleich drei Bewohner starben, dazu noch so unglücklich, gerade während der zehn Nachtdienste, die der Junge übernommen hatte, das war nicht gerecht. Wenigstens hatte sich die Sausele, so wie es aussah, nicht so spektakulär verabschiedet wie die anderen zwei. Herzversagen hörte sich danach an, dass sie ruhig eingeschlafen war. Manchmal starben die Leute in dem Alter eben unerwartet.
    Schließlich war sie ja auch
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