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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten
Autoren: Peter Nimtsch
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Wochen im Schattengrau so erträglich wie möglich zu machen.
    Überhaupt war es für ihn, seit er aus dem Knast war, nur steil aufwärts gegangen: Gleich am ersten Tag seiner wiedergewonnenen Freiheit hatte er eine neue Frau gefunden. Am folgenden Tag wurde ihm von Stur die nächsthöhere Gehaltsklasse aufs Auge gedrückt, mit sofortiger Wirkung. „Für die aushilfsweise geleistete Schichtleitungstätigkeit und als Motivation zur Weiterentwicklung in Richtung Stationsleitung.“
    Als ob Stur geahnt hätte, dass sein potentieller Schichtleiter ein paar Tage später ein Vorstellungsgespräch bei einem Reha-Technik-Händler hatte. Das Fixgehalt, das sie ihm dort versprachen, lag schon über seinem momentanen Bruttolohn hier. Dazu kämen dann noch Verkaufsprovisionen. Komisch, dass es immer dann lief, wenn man gar nichts dafür getan hatte. Locke würde sagen: Du musst nur loslassen, dann kommt's von selber.
    Ach ja, Locke ... Dass sein langjähriger Freund nun für längere Zeit aus dem Verkehr gezogen war und nicht mehr für anregende, tiefsinnige Gespräche zur Verfügung stand, war das Einzige, was ein wenig fehlte. Aber selber schuld, der alte Knabe! Hatte ja wohl doch ganz schön Mist gebaut.
    Larissa knallte den Kugelschreiber auf den Tisch und stieß erleichtert Luft aus.
    „Geschafft!“, stellte Kevin fest.
    „Dito!“, meldete Renate und klappte geräuschvoll den Ordner zu.
    Als Kevin vorhin von seinem kurzen Gespräch mit dem Pflegedienstleiter zurückgekommen war, war sie hochkonzentriert in ihren Bericht vertieft gewesen. Jetzt schaute ihn die Chefin erwartungsvoll an: „Und? Konnte Stur dich noch mal umbiegen?“
    „Keine Chance. Ich hab meine Kündigung bereits abgeschickt. Am ersten Zweiten fange ich in Stuttgart bei Reha-Med an.“ Sie war vorhin nicht dabei gewesen, als er Larissa erzählte, dass er den neuen Vertrag schon unterschrieben hatte.
    Draußen schepperte es. Alle zuckten gleichzeitig von ihren Stühlen hoch, aber Kevin war als Erster aufgesprungen und rannte um die Ecke zum Aufenthaltsraum.
    Hildegard, die Abräumhilfe, bückte sich nach einigen Emaille-Scherben auf dem Fußboden. „Tut mir leid“, rief sie, als sie Kevin sah.
    „Keine Panik, besser das Geschirr, als Frau Sauer fallen lassen.“ Kevin ging wieder zum Schwesternzimmer zurück. „Falscher Alarm. War nur Hilde“, teilte er Larissa mit, die an der Tür wartete.
    Sie setzten sich wieder.
    „Hildegard!“, seufzte Renate.
    „Alle unversehrt“, beruhigte Kevin.
    „Die wird auch immer schussliger“, brummte Renate.
    „Ich bin ja froh, wenn sie's überhaupt noch packt“, unterstützte sie Larissa. „Meistens muss man ihr noch Sachen hinterherräumen.“
    „Gemessen an ihren breiten Hüften ist sie ganz schön flink unterwegs, finde ich“, sagte Kevin.
    „Kevin!“, hörte er in Stereo und dann von seiner neuen Freundin die Einsicht: „Eigentlich sollten wir froh sein, dass wir sie haben. Ohne sie könnten wir uns die Verschnaufpause jetzt nicht erlauben.“
    Renate nickte: „Da hast du wohl recht.“ Dann klopfte sie mit beiden Handflächen einmal auf den Tisch und sagte: „So.“
    Das war das bekannte Signal zum Endspurt.
    „Eine Minute noch.“ Kevin zwinkerte Larissa zu. „Ich bin so verspannt, ich brauche meine Reiki-Massage.“ Kevin drehte Larissa seinen Rücken zu.
    „Hör damit auf. Das erinnert mich gleich wieder an den bekifften Arsch“, schimpfte die.
    „Was Arsch? Meinst du Zen-Meister Locke?“
    Sie griff ihm dermaßen heftig mit beiden Händen in den Nacken, dass er aufstöhnte. „Aau! Dass dich der Name dermaßen aggressiv macht ...“
    „Ich hab dich gewarnt. Aber du hast wohl dein Lehrgeld umsonst bezahlt.“ Trotzdem massierte sie ihn nun wesentlich sanfter.
    „Also, ich lege los, von mir aus turtelt noch eine Minute.“ Renate stand auf. „Aber denkt dran, Herrn Kocher zu verbinden. Das hält auf, das wisst ihr?“
    „Geht klar, Chefin. Wir kriegen das hin.“
    Kaum war Renate zur Tür hinaus, drehte sich Kevin um, strich Larissa eine brünette Strähne aus der Stirn und hauchte ihr ins Ohr: „Aber, dass deine Locken weich und wunderschön sind, darf ich noch erwähnen oder?“
    „Vollidiot.“
    „Dank ...“ Der Rest des Wortes und, was er noch sagen wollte, ging in einem langen Kuss unter. Larissa ließ Kevin erst wieder los, als die beiden hörten, dass Hilde mit ihrem klirrenden Geschirrwagen aus dem Aufenthaltsraum heraus, auf sie zu rollte.

    Ach da schau her ...!
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