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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten
Autoren: Peter Nimtsch
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Arzt stellt Herzversagen fest!“
    „Das hat sie erzählt, ja.“
    „Da hat meine Betti halt rotgesehen.“
    „Und, hast du der Sausele nun mehr gegeben als Hansen verordnet hat?“
    „Ja, habe ich. Gebe ich zu. Aber das war nie wirklich gefährlich. Deshalb habe ich ja vorher gründlich recherchiert. Ich wollte der Frau einfach ein bisschen helfen und ich war halt der Meinung – und das bin ich immer noch –, dass Hansen bei ihr viel zu vorsichtig verordnet hat. Ein richtiger Schmerztherapeut hätte sie ganz anders eingestellt. Der Hansen hat doch selber nur rumexperimentiert! Wie bei vielen anderen Bewohnern auch. Und die Sausele hatte schließlich immer noch starke Schmerzen!“
    „Aber sie hat doch auch viel Theater gemacht, oder?“ gab Larissa vor allem die allgemeine Meinung der Pflegekräfte wieder.
    „Ja, schon. Aber die Schmerzen bei AVK in dem Stadium sind massiv. Die Frau musste irgendwann durchdrehen. Und Hansen hat die Dosis immer zu langsam erhöht. Ich habe dann halt jedes Mal in meiner Spätschicht zehn Tropfen Diazepam mehr gegeben, mehr konnte ich nicht tun. An der Morphiumdosis konnte ich nichts machen. Aber so hatte die Frau wenigsten nachts ein bisschen Ruhe. Und während meiner Nachtdienstzeit hatten wir ja vereinbart, dass ich die Zwanzig-Uhr-Medis übernehme.“
    „Da hast du dir aber schon was geleistet, Kevin! Meinst du, das war okay?“
    „Nein, sicher nicht. Sollte auch möglichst unter uns bleiben.“
    „Keine Angst. Würde ja sowieso keinem helfen, wenn ich’s ausplaudern würde. Und du wirst in Zukunft sicher solche heimlichen Doktorspielchen bleiben lassen.“
    „Darauf kannst du wetten. Aber es hat sie definitiv nicht umgebracht, wenn ich noch mal erinnern darf. Und der Hammer kommt noch ... Das dürfte ich eigentlich gar nicht weitererzählen ...“
    „Ich schweige, wie ein Grab.“
    „Okay. Der Chefbulle, also der Strobe ...“
    „Derrick meinst du.“
    Kevin nickte lächelnd. „Der hat mir heute Morgen noch was verraten: Bei der Leiche der Sausele hatten sie ja in jedem Arm einen Spritzeneinstich entdeckt. Und weil Hansen nur eine dokumentiert hatte und dazu noch die Ampulle aus dem Giftschrank fehlte, hatten sie mich beschuldigt, ...“
    „Das hast du erzählt“, unterbrach ihn Larissa. „Was heißt, Hansen hat nur eine dokumentiert?“
    „Warts ab. Hansen hat ihr später noch eine gegeben. Das hat er aber nicht eingetragen.“
    „Vergessen?“
    „Eher nicht. Er hat doch extra das Diazepam für Sonntagabend streichen lassen. Vielleicht hatte er Angst, dass Renate Terror macht. Sie war ja immer gegen Morphium. Egal. Ich frage mich nur, warum er die zweite Spritze überhaupt gesetzt hat. Das passt überhaupt nicht zu seiner Vorsicht.
    Jedenfalls habe ich mich über seine Anweisung, das Diazepam abends wegzulassen, hinweggesetzt. Von der zweiten Spritze habe ich ja nichts gewusst. Als die Bullen am Freitag sagten, dass sie daran gestorben sei, dachte ich wirklich, ich hab die Alte auf dem Gewissen. Obwohl ich die zweite Spritze ja nicht gegeben hatte. Aber eben das Diazepam, oral! Und das konnte ich den Bullen ja auch nicht auf die Nase binden. Ich bin fast durchgedreht, kann ich dir sagen.“
    Kevin trank das Glas Sekt leer, um ein bisschen davon abzulenken, dass ihn das Ganze immer noch aufwühlte. Larissa, die noch immer bei ihm auf der Sessellehne saß, merkte es trotzdem. Nicht nur, weil er zitterte. So hatte sie Kevin noch nie erlebt. Sie wollte ihn wieder in den Arm nehmen. Aber so viel Nähe war er wohl von ihr nicht gewöhnt.
    „Ich würde gerne eine rauchen“, sagte er unvermittelt.
    „Aber draußen! Ich rauch eine mit.“
    Sie gingen auf den Balkon. Dort standen sie schweigend, schauten in den dunklen Nebel und asphaltierten ihre Lungen. Bis Kevin sagte: „Jetzt weißt du auch, warum Betti sich tagelang nicht bei dir gemeldet hat.“
    „Gewissensbisse, weil sie dich in den Knast gebracht hat.“
    „Ja ..., oder mehr ein Gewissenskonflikt. Sie dachte wirklich, ich hätte die Leute gekillt. Es waren also edle Motive, die sie dazu bewegt haben, bei den Bullen anzurufen. Aber anderseits hat sie das ganze Heim in ein schlechtes Licht gerückt.“
    „Und sie hat gewusst, dass ich mir Sorgen um dich mache.“
    Kevin antwortete nicht.
    Als Larissa die nächste Schicht Teer über ihre Lungengefäße gelegt und den Rauch in die kalte Luft geblasen hatte, fragte sie: „Was wirst du jetzt machen?“
    „Haftentschädigung beantragen.“
    „Witzbold!
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