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Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Grappa 06 - Grappa und der Wolf

Titel: Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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teures Nachfüllprodukt. Das mehrfach benutzte Schwämmchen hatte die Farbe des Puders angenommen und etwas vom Hautfett der Besitzerin aufgesaugt.
    Ich war in einer Situation, die gefährlich werden konnte. Als Augenzeugin eines Mordes sollte ich nicht länger in Toledo bleiben, sagte ich mir, vielleicht hat mich doch jemand gesehen.
    Nein, hier in Spanien kam ich nicht weiter mit der Geschichte. Ich musste zurück nach Bierstadt. Herauskriegen, wer diese Carlotta war, die auf den Anruf einer Frau namens Carmen gewartet hatte.
    Ich blickte auf die Uhr. Es war früher Nachmittag. Zeit genug, die Sachen zu packen, den Mietwagen zu starten und die rund siebzig Kilometer nach Madrid zu schaffen. Die Maschine ging um kurz nach sieben, es war ein Linienflug. Ein Ticket hatte ich, es musste nur noch umgeschrieben werden.
    Der Empfangschef quittierte meine Flucht mit einem bedauernden Klimpern seiner langen Wimpern und der Versicherung, alle meine Post umgehend nach New York ins Waldorf-Astoria weiterzusenden. Ich starrte ihn fragend an, hatte meinen eigenen Witz längst vergessen.
    Ich bekam den Flug. Gegen elf Uhr abends trudelte ich in Bierstadt ein. Im Telefonbuch suchte ich die Nummer von Carlotta Roja. Ich fand sie, doch sie stimmte nicht mit der Zahlenkombination aus der Puderdose überein.
    Es war Zeit, ins Bett zu gehen. Vorher ließ ich noch minutenlang das warme Wasser der Dusche über mich laufen. Womit sollte ich beginnen? Den Anfang des Knäuels hielt ich in meinen Händen: Carlotta Roja. Ich musste unbedingt mit ihr reden!

Plaudertaschen unter sich
    Die sogenannten Redaktionskonferenzen waren nichts anderes als eine Form sozial verbrämter Plaudertaschenkultur. Ich war auf dem Weg in eine solche Sitzung. Eigentlich mochte ich solche Veranstaltungen nicht, doch nur so konnte ich mitbestimmen, was morgens im Blatt stehen würde.
    »Das war aber ein kurzer Urlaub«, stellte eine Kollegin aus der Nachrichtenredaktion hämisch fest, die nicht gerade zu meinen besten Freundinnen zählte.
    »Lang genug, um mich prächtig zu erholen«, gab ich zurück und wartete auf den nächsten Angriff.
    »Es muss ja auch langweilig sein, so ganz allein in Urlaub zu fahren«, seufzte sie und bedachte mich mit einem mitfühlenden Von-Frau-zu-Frau-Blick.
    »Auch im Urlaub kann man Leute kennenlernen«, knurrte ich.
    »Und? Hast du?«
    »Klar. Er hieß Don Fernando, hatte Augen wie glühende Kohlen, einen Arsch wie Adonis und eine Stimme wie Luciano Pavarotti in seiner allerbesten Zeit. Tagsüber kämpfte er gegen wilde Stiere, abends sang er vor meinem Balkon, und nachts arbeiteten wir den Flamenco in der Waagerechten nach. Hat dein Mann eigentlich noch immer die Affäre mit der geilen Tussi aus der Anzeigenabteilung?« Den letzten Satz hatte ich geflötet. Ihr Blick sagte mir, dass ich für heute Ruhe haben würde.
    »Zwei Kolleginnen in einem Gespräch von Frau zu Frau«, brummte eine tiefe Männerstimme neben mir, »wie schön, wenn sich zwei Menschen so gut verstehen.«
    »Peter!« Ich war erfreut. Peter Jansen war noch immer Chef vom Dienst beim Bierstädter Tageblatt. Seine Karriere war seit Jahren von einem aufregenden Stillstand bestimmt, nichts rührte sich. Chefredakteur hätte er werden sollen, doch die Verlagsleitung hatte sich für Werner Conrad Knall entschieden, einen Fast-Sechziger mit öligem Haupthaar und Seehundschnäuzer. Als Knall – wir nannten ihn WC – installiert worden war, war Jansen zusammengeklappt. Doch übermäßiger Alkoholgenuss löste seine Probleme nicht, er »verschwand« für einige Wochen in einer Klinik.
    »Schön, dass du wieder da bist«, sagte ich und haute ihm auf die Schulter. »Alles in Ordnung zu Hause?«
    Er nickte.
    Wir setzten uns. Auf dem Tisch lagen die Zeitungsausgaben vom heutigen Tage, denn die Konferenzen begannen mit einer sogenannten »Manöverkritik« der täglichen Ausgabe.
    Die Kolleginnen und Kollegen waren bereits vollständig im Sitzungsraum versammelt. Es waren ungefähr zwanzig Leute. Da gab es die harten Rücksichtslosen, die gnadenlosen Zyniker, die schleimigen Gestaltlosen, die geschmeidigen Scherzbolde, die frustrierten Ideologen und ab und zu mal eine schrille Gestalt. Ich zählte mich noch zur letzten Kategorie, befand mich aber auf dem Weg zur Zynikerin.
    WC Knall betrat den Raum. Der Stuhl ächzte, als er sich auf ihn fallen ließ.
    »Guten Morgen, die Herren!«, schnarrte er. Einige Kollegen suchten sofort Blickkontakt mit ihrem Alpha-Männchen. Dass WC die
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